Im Wartesaal namens Europa

Da wäre aber mehr drin gewesen: Alexander Riemenschneider inszenierte am Deutschen Theater Erich Kästners „Fabian“

Szenenbild mit Božidar Kocevski, Birgit Unterweger und Thorsten Hierse Foto: Arno Declair

Von Jens Uthoff

Berlin, Stadt der Lust, der Laster und des Laissez-faire: So, wie die Hauptstadt zur späten Weimarer Zeit gerade erst in „Babylon Berlin“ zu besichtigen war, erscheint sie zunächst auch in Erich Kästners Roman „Fabian – Die Geschichte eines Moralisten“. In der Box des Deutschen Theaters, wo dessen Neuinszenierung von Regisseur Alexander Riemenschneider am Samstag Premiere feierte, leuchtet dieses Berlin der frühen 1930er Jahre in grellen Farben: Die Bühnenhinterwand ist in ein knalliges Orange getaucht, das Bühnenbild einem Comic-Panel nachempfunden. Sprechblasen mit den Wörtern „Autsch“, „Wow“ und „Fun“ sowie abnehmbaren Requisiten aus Pappmaché sind an die Wand gepinnt.

Auf der Bühne lassen sich die drei Protagonist_innen zu Technobeats und Synthesizerklängen durch Tanzlokale und Cabarets treiben. Die Hauptfigur, der promovierte Germanist und Werbetexter Jakob Fabian (Thorsten Hierse), landet dabei zunächst in einem „Institut zur Anbahnung von Beziehungen“, wo er mit Irene Moll (Birgit Unterweger) anbandelt, die sich ihre Affären – vertraglich fixiert – jeweils von ihrem Ehemann (Božidar Kocevski) absegnen lässt. Allerorts ist aber bereits spürbar, dass sich politisches Unheil anbahnt, dass die Wirtschaftskrise Folgen zeitigt. Denn, so Fabian: „Wir sitzen wieder im Wartesaal, und wieder heißt er Europa! Wir leben provisorisch, die Inflation nimmt kein Ende!“

Das Spannende an Kästners großem Roman aus der Spätphase der Neuen Sachlichkeit, erschienen 1931, ist natürlich, dass er genau jenen Zeitpunkt markiert, in dem aus einer liberalen Stadt ein Ort der Furcht, in dem aus einer Demokratie auf Probe ein protofaschistisches Land wird. Jakob Fabian, der Moralist, der auf den „Sieg der Anständigkeit“ wartet, muss scheitern, wenn er hofft, dass die „Vernünftigen an die Macht kommen“; genauso sein Studienfreund Stephan Labude, dieser aufklärerische Geist, der seine Habilitationsschrift zu Lessing schreibt (in dessen Rolle schlüpft Božidar Kocevski). Sinnbildlich hängt eine Lessing-Büste die meiste Zeit des Abends verkehrt herum von der Bühnendecke.

So ist es kein Wunder, dass die stärksten Szenen des Abends jene sind, die die aufziehende Gewalt auf den Punkt bringen. Als Fabian und Labude nachts Zeuge einer Schießerei zwischen einem Nazi und einem Kommunisten werden, bringen sie die beiden Verwundeten kurz darauf gemeinsam ins Krankenhaus. Birgit Unterweger spielt nun den einen wie den anderen Verletzten, changiert grandios zwischen den Rollen, „Volksverräter!“ und „Arbeiterverräter!“ blaffen sie abwechselnd; die Szene endet damit, wie Unterweger abwechselnd den Hitlergruß und die Kommunistenfaust schwingt.

Auf dem begrenzten Raum in der Box des DT simuliert das vollends überzeugende Schauspielertrio Hierse/Unterweger/Kocevski die Handlung dabei mit den Comic-Requisiten wie etwa einer Pistole, einem Telefon oder einem Brief; untermalt wird das Geschehen mit reduziert-zurückhaltender Live-Musik von Tobias Vethake, der am Bühnenrand mit E-Cello, Computer, Effektgeräten und Spieluhr hantiert. Die drei Protagonist_innen sind in feine, schwarz-weiße Stoffe gekleidet, sind weiß geschminkt, haben Glitzer unter den Augen. Toll gespielt sind manche Szenen in Zeitlupe, die das schnelle, nervöse, fiebrige Nachtleben kontrastieren und die dunkle Vorahnung, die über allem liegt, unterstreichen.

Die stärksten Szenen sind die mit der aufziehenden Gewalt

Es geht natürlich auch bei Fabian alles den Bach runter (er selbst am Ende auch). Ihm wird gekündigt, die kurze Liebe mit Cornelia Battenberg geht in die Brüche, als diese sich an die Filmindustrie verkauft, und Labude steigt irgendwann tot aus einem Sarg, der in die Bühnenwand eingelassen ist: Sein Freund hat sich das Leben genommen, ihm war zu Ohren gekommen, er werde mit seiner Habilitationsschrift durchrasseln – was sich als makabrer Witz eines Uni-Mitarbeiters herausstellt. „Es war nur ein Witz!“, schreien die drei auf der Bühne nun wiederholt und hysterisch.

Die DT-Adaption des „Fabian“, der übrigens vor einigen Jahren in der Kästner’schen Urfassung unter dem Titel „Der Gang vor die Hunde“ neu erschien, ist eine eng am Originaltext gehaltene Fassung. Ausnahme ist der kurze Prolog, den die Schauspieler zu Beginn halten. „Dieses Stück hat keine Handlung“, proklamieren sie da, und sie sinnieren über die Frage, was ein Stück haben muss, damit es ein Publikum dazu bringe aufzuspringen.

Damit will man sich wohl an Kästners Äußerungen zu „Fabian“ anlehnen („Der Roman wollte vor dem Abgrund warnen, dem sich Deutschland und damit Europa näherten“), dieser Part aber scheint verzichtbar und ist auch etwas irreführend. Und da das Stück, auch mit der Auswahl der Textpassagen („Europa hatte große Pause. (…) Der alte Kontinent würde das Ziel der Klasse nicht erreichen. Das Ziel keiner Klasse!“) ja ganz offensichtlich auf Gegenwartsbezug setzt, hätte man sich mehr Aktualisierung gewünscht. Bürgerkriegsfantasien von links oder rechts, Klassenkampfrhetorik, Europashowdown – warum nicht mehr Mut, mit heutigem Material zu spielen? Sicher, die Beats und der Technosound, auch die Form des Comic-Panels, das alles kommt sehr zeitgenössisch daher – da wäre aber mehr drin gewesen.

Wieder am: 3. 3., 20 Uhr; 17. 3.,19 Uhr; 20. 3., 19.30 Uhr (alle ausverkauft)