Das blaue Blitzen kehrt zurück

Bilder übereinanderschichten, bis sie unverständlich werden: So „malt“ der Filmemacher Makino Takashi in seinem experimentellen Werk, das er heute in der Brotfabrik vorstellt

Malerei von William Turner? Still/Ausschnitt aus Takashis Film „On Generation and Corruption“ Foto: Brotfabrik

Von Fabian Tietke

Fast eine Minute lang bleibt die Leinwand bei Makino Taka­shis Experimentalfilm „The Low Storm“ schwarz, während sich auf der Tonebene das Rauschen einer leeren analogen Tonspur mit Wind und etwas Donnern mischt. Die schwarze Leinwand zu Beginn des Films schafft einen Zwischenraum zwischen den Bildern der Alltagswelt und dem Bildkosmos von Makinos Filmen. Zugleich verweigert die schwarze Leinwand die Erwartung an Filmbilder und schafft Raum für andere Imaginationen.

Allmählich verstärkt sich ein Flackern auf der Leinwand. Wolkenartig tanzen Kratzer vor einem heller werdenden Hintergrund, parallel wird das Knistern, Knacken und Donnern auf der Tonspur intensiver. Eine Art Landschaft wird sichtbar, leuchtendes Blau zuckt über die Leinwand, die kurz darauf wieder in Dunkelheit versinkt. Das blaue Blitzen kehrt zurück, wiederholt sich, verstärkt sich, für einen kurzen Moment ist das Bild erleuchtet. Ein Blick aufs Meer. Die Helligkeit flaut wieder ab, auf der Tonspur treten neue Elemente wie eine Art Motorgeräusch hinzu, die Kratzer auf der Filmoberfläche weichen weißen schneeartigen Flocken. Mit der Zeit tritt aus der Tonspur eine Art Musik an die Oberfläche. In den Bildern und Tönen des Films ballt sich Intensität.

Kinoleiter Claus Löser hat Makino Takashi für Mittwochabend zu einem Abend im Kino der Brotfabrik eingeladen. Vier Filme Makinos stehen auf dem Programm, ein kurzer Überblick über dessen Filmarbeiten der letzten zehn Jahre. Makino Takashi studierte in den 1990er Jahren Bildgestaltung am Nihon University College of Arts in Tokio, arbeitete dann mit den dem amerikanisch-englischen Brüderpaar Quay an deren Animationsfilmen und dreht seit 2001 Experimentalfilme.

Über seine Arbeitsweise schreibt er: „Anstatt Filme mit einer Struktur zu machen, die ich den Zuschauern auferlege, ist meine Methode, die Struktur ganz aufzugeben oder in anderen Worten: Bilder über­einanderzuschichten, die früher einmal Bedeutung trugen, bis sie unverständlich werden. Ich möchte, dass das entstehende ‚Bild‘ wie ein namenloses lebendiges Wesen mit einer unbegrenzten Anzahl an Bedeutungen wird. Meine Filme sollen Auslöser für das Publikum sein, um in ihre eigenen Vorstellungswelten aufzubrechen.“

Makino Takashi nutzt in seinen Filmen immer wieder Material, das während seines Studiums in Tokio entstand, und überlagert es – teils durch Doppelbelichtungen in der Kamera, teils digital – mit anderen Bildern.

„While We Are Here“, der wie „The Low Storm“ 2009 entstand, hat eine leicht episodische Struktur, das zugrundeliegende sepiagetönte Filmmaterial wechselt klar erkennbar: ein Schwan, der seinen Kopf auf seinem Körper abgelegt hat, Sonnenlicht, das durch den Nebel und die Wolken tanzt, eine Pfütze, ein Tunnel mit Licht am Ende, ein Blick durch Baumkronen in den sonnigen Himmel. Anders als Lawrence Englisch, dessen Musik in „The Low Storm“ eher eine Klanglandschaft erzeugte, unterstreicht die Musik der französischen Ambient-Musikerin Colleen (Cécile Schott) die Struktur des Films.

„On Generation and Corruption“ strotzt vor Farbenfreude, das ist eine wichtige Neuerung

„While We Are Here“ driftet durch die einzelnen Sequenzen des Films, die jede für sich einen Assoziationsraum aufspannen und nur in eine lose Dramaturgie des Lichts gefügt sind: von den nuancenreichen Aufnahmen des Schwans über das Licht-Schatten-Spiel des Tunnels bis zu einer letzten Sequenz, die ganz im Licht aufzugehen scheint. Mit den klaren Bildern und der vergleichsweise klaren Struktur ist „While We Are Here“ eher eine Ausnahme.

„On Generation and Corruption“ von 2016 ist visuell näher an „The Low Storm“, arbeitet jedoch stärker als dieser mit Farbe. Auch auf der Bildebene sind neue Elemente neben die Landschaftsaufnahmen getreten, die wichtigste Neuerung jedoch bleibt der Einsatz der Farbe, „On Generation and Corruption“ strotzt vor Farbenfreude. Der Film umspielt nach Auskunft von Makino Takashi dessen Lektüre von Aristoteles’ „Über die Entstehung der Tiere“, in der Aristoteles genaue Naturbeobachtungen mit teils recht fantastischen Erklärungen über das Gesehene verbindet.

Die Bildwelten der Filme Makino Takashis haben eine Sogwirkung auf die Zuschauer. Makinos Filme mögen intellektuell anspruchsvolle Experimentalfilme sein, sie haben in ihren Bestreben danach, visuelle Assoziationsräume zu eröffnen, jedoch auch einen zutiefst sinnlichen, einbeziehenden Charakter. Der Medienwissenschaftler James Snazell hat auf die Nähe einiger Bilder Makinos zu Bildern aus der Malerei des 19. Jahrhunderts von Malern wie J. M. W. Turner hingewiesen, die Naturgewalten in eine durch und durch eigenständige Bildgestaltung mit einem überaus präzisen Einsatz von Farbe übersetzten. Der Abend mit Makino Takashi in der Brotfabrik ist eine Gelegenheit zu einer freudig-unprätentiösen Begegnung mit experimenteller Filmkunst, die man sich nicht entgehen lassen sollte.

„An Evening with Makino Takashi.“ Brotfabrik Berlin, 20 Uhr