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Der deutsche Protestforscher Dieter Rucht hat sich mit den französischen Gilets jaunes, den Gelbwesten, beschäftigt

Von Rudolf Walther

Über die Bewegung der Gilets jaunes in Frankreich ist viel geschrieben worden, Fotos und Filme von Gewaltexzessen bestimmen das Bild der Protestbewegung, die zuweilen als von Rechtsradikalen und Faschisten dominierte Veranstaltung denunziert wird. Zu dieser Verkürzung bildet die nun erschienene Studie des Protestforschers Dieter Rucht ein informatives Korrektiv: Das Working-Paper des Berliner „Instituts für Protest- und Bewegungsforschung“ (https://bit.ly/2T0fjrO) rückt eine ganze Reihe von Vorurteilen zurecht.

Rucht zeigt, dass die Bewegung „ohne direkten Vorläufer“ und ohne direkte Verbindungen zu politischen Parteien, Gewerkschaften oder anderen Akteuren lebt und so „ein Produkt der spezifischen sozio-ökonomischen, politischen und kulturellen Gegebenheiten des Landes ist“. Dazu gehört, dass es sich um eine in den ländlichen und kleinstädtischen Milieus und nicht in den Großstädten verankerte Bewegung handelt, die sich gegen die infrastrukturelle, aber auch soziale und ökonomische Benachteiligung der dünn besiedelten Regionen wendet.

Die wichtigsten unter den vielen Forderungen waren jene nach dem Abbau indirekter Steuern und nach der Steigerung der Kaufkraft: „Der Mittelwert des monatlichen Einkommens“ der Protestierenden liegt bei „1.700 Euro und somit rund 30 Prozent unter dem Mittelwert der Gesamtbevölkerung“.

Die Bewegung hat bislang keine nennenswerten Strukturen und Entscheidungsverfahren ausgebildet, sondern agiert in einem „strukturellen Chaos“ (Rucht). Die wöchentlichen Aktionen begannen am 17. November und gehen bis heute weiter – wenn auch mit abnehmender Beteiligung. Bis heute beurteilt eine Mehrheit zwischen 55 und 66 Prozent der Franzosen den Protest als „positiv“. Die Mehrheit der Demonstranten – 57 Prozent – zählt sich zur Linken; zu den Konservativen und Rechten bekennt sich eine Minorität von 17,4 Prozent.

Instant-Intellektuelle

Die Protestierenden gehören zum „menu peuple“, zu den „einfachen Leuten“, die sich gegen die politischen Eliten wenden, vor allem gegen den Staatspräsidenten Macron, den „Präsidenten der Reichen“.

Ruchts Arbeitspapier besticht durch eine empirisch solide belegte Basis und hält sich mit politischen Wertungen zurück – ganz im Gegensatz zu den Pariser Instant-Intellektuellen, die haltlose Vergleiche mit Straßenkämpfen zwischen Kommunisten und Faschisten in den 30er Jahren anstellen wie der Philosoph Bernard-Henri Lévy.

Auch bei jenen, die den Protest unterstützen, wie der Schriftsteller Édouard Louis, überlagert Deklamation („Arme zünden einen Bus an. Das ist keine Gewalt, sondern Notwehr“) Information und Argumentation. Was die Zukunft der Protestbewegung betrifft, ist Rucht eher skeptisch.