Teure Medizin

Ein eigener Medizinstudiengang mit sozialer Ausrichtung? Darin sieht Senatorin Quante-Brandt eine Chance gegen den Ärztemangel. Beim taz Salon wurde darüber gestritten

CDU-Spitzenkandidat Carsten Meyer-Heder (l.) diskutierte am Dienstag mit Gesundheitssenatorin Eva Quante-Brandt (SPD), Ärztekammerpräsidentin Heidrun Gitter (2.v.r.) und Gesundheitswissenschaftler Norbert Schmacke (r.) beim taz Salon Foto: Kay Michalak/Fotoetage

VonJean-Philipp Baeck

Es ist ein gängiger Vorwurf, dass es die unvernünftigen Patienten seien, die mit kleinen Wehwehchen die Notaufnahmen überlasteten. Doch ist auch das nur Symptom einer ernsten Krankheit? Laut Heidrun Gitter, Präsidentin der Bremer Ärztekammer, werden durchaus viele PatientInnen von ihren Hausärzten dorthin weitergeschickt – auch wegen Überlastung. „Es kommt flächendeckend im Bundesland Bremen vor, dass Ärzte nicht mehr können“, sagte sie am Dienstagabend beim taz Salon im Lagerhaus.

Eingeladen hatte taz-Redakteur Benno Schirrmeister zur Diskussion darüber, welche Medizin Bremen benötigt und ob einem Mangel an ÄrztInnen mit einem Medizinstudium in der Stadt begegnet werden könnte – so, wie es zuletzt heiß diskutiert und nun für den klinischen Teil auch auf Machbarkeit überprüft werden soll.

Doch schon darüber, ob allgemein von einem Ärztemangel die Rede sein kann, herrschte weder auf dem Podium noch im Publikum Einigkeit. Klar: In Bremerhaven oder benachteiligten Bremer Stadtteilen wie Gröpelingen fehlen Ärztinnen und Ärzte. Doch gilt das auch insgesamt?

Der Bremer Gesundheitswissenschaftler Norbert Schmacke sieht vor allem ein Problem bei der ungleichen Verteilung: In Stadtteilen, die „ihrem Lebensstil“ mehr zusagten, würden sich durchaus viele ÄrztInnen gern niederlassen. Insgesamt sei die Zahl der berufstätigen MedizinerInnen in Deutschland seit dem Jahr 2000 von 294.000 auf 385.000 im Jahr 2017 gestiegen.

Schmacke zweifelte daher am Sinn eines neuen Medizinstudiengangs wie an der Annahme, viele der AbsolventInnen würden nach dem Studium dann auch in Bremen praktizieren. Stattdessen müsse bei der Pflege angesetzt werden, wo ein echter Mangel herrsche. Seine Vorschläge: Eine Karte, wann und wo Ärzte in Rente gingen, sowie neue Modelle in der Versorgung – etwa über Zentren, die das Soziale und die Sprachvermittlung mit in den Blick nähmen. Ideen, die sich vor allem an die Kassenärztliche Vereinigung richteten.

Auch Gesundheits- und Wissenschaftssenatorin Eva Quante-Brandt (SPD) sieht in der allgemein-medizinischen Versorgung ein drängendes Problem. Der Aufbau eines Medizinstudiengangs biete hier eine Chance. „Ich gehe von einem Klebeeffekt aus“, sagte Quante-Brandt. „Es hat Ausstrahlung, sich in der Stadt niederzulassen, wenn eine Universitätsmedizin vorgehalten wird.“ Auch sie sprach von einem Bremer Modell, meinte aber zunächst das Konzept eines Studiengangs, der sozial ausgerichtet sein und auf die Weiterbildung von AllgemeinmedizinerInnen hinwirken solle.

Erst im Januar hatten Gesundheitsdeputation und Wissenschaftsausschuss beschlossen, die Machbarkeit eines Medizinstudiengangs zu evaluieren. SPD und Grüne allerdings wirkten darauf hin, dass allenfalls der klinische Teil eines Studiums nach dem Physikum und nicht ein Vollstudium angeboten wird.

„Es hat Ausstrahlung, wenn eine Universitätsmedizin vorgehalten wird“

Eva Quante-Brandt (SPD), Gesundheitssenatorin

Eben deshalb hakte Carsten Meyer-Heder ein, der Spitzenkandidat der CDU für die Bürgerschaftswahl. Er könne nicht verstehen, warum ein Vollstudium von vornherein ausgeschlossen werde. Ein eigener Medizinstudiengang könne ein „Image- und Standortfaktor“ für Bremen sein.

In seltener Einigkeit stimmte ihm die Linkspartei-Abgeordnete Miriam Strunge zu, die sich aus dem Publikum meldete. Sie fragte aber auch, wie sich die CDU eine Finanzierung vorstelle, woraufhin Meyer-Heder nur antwortete, dass zunächst die Kosten zu prüfen seien. Tatsächlich lassen Erfahrungen aus anderen Städten für komplette Medizinstudiengänge Summen von 50 bis 100 Millionen Euro im Jahr vermuten.

Senatorin Quante-Brandt erklärte deshalb: „Ein Vollstudium vom ersten bis zum letzten Semester durchgängig mit Forschung zu konzipieren, wäre ein sehr hoher Betrag.“ Sie verwies auf Bremens Expertise in den Gesundheitswissenschaften, den Studiengang Public Health, die Hebammenausbildung, die nun akademisiert werde, und das Pflegestudium. Auf Kooperationen zu setzen, ermögliche, mit dem klinischen Teil eines Medizin-Studiengangs zügig an den Start gehen zu können.