Regielegende der Komischen Oper Berlin: Als die Briten noch groß waren

Sie singen ordentlich Note für Note: An der Komischen Oper inszeniert der legendäre Harry Kupfer Händels „Poros“ mitten im Urwald.

Vor einer Buddhastatue kniet ein Mann von einer Frau, beide in Saris

Dominik Königer (Poros) und Ruzan Manthashyan (Mahamaya) in „Poros“ Foto: Monika Rittershaus

Er ist zurückgekehrt an sein Haus, Harry Kupfer, schon zu Lebzeiten eine Legende der Opernregie. Treu geblieben ist er sich auch jetzt mit seiner Version eines Operntextes von Pietro Metastasio, der von beinahe allen Komponisten des 18. Jahrhunderts vertont worden ist. „Alessandro in India“ heißt das Stück im italienischen Original.

Händel ließ es ins Englische übersetzen für seine Oper, die unter dem Titel „Porus“ im Kings Theatre am Hay Market 1731 uraufgeführt worden ist. Genau dort setzt Kupfer an, weil es ihm wie immer darum geht, die stets etwas unrealistisch erhabene Kunstform der Oper auf die Erde zurückzuholen. Der mythische mazedonische Krieger Alexander ist bei ihm einfach nur ein Offizier der East India Company, die sich tatsächlich zu Händels Zeiten anschickte, Indien zu erobern.

Diese Geschichte dauert bis heute an, da hat Kupfer schon recht. Obwohl die Kolonien längst verloren sind, zerbricht die britische Gesellschaft gerade an den immer noch fortwährenden Träumen eines Weltreiches, die Hans Schavernoch überzeugend ins Bild setzt: Ein fantastisch wuchernder, undurchdringlicher Urwald beherrscht die Szene, die Figuren des Dramas können sich nur auf einer schiefen Platte mit den Umrissen des indischen Subkontinents bewegen.

Illusion einer Weltmacht

„Poros“: Nächste Vorstellungen in der Komischen Oper: 29. 3., 13. + 20. 4.

Diesen ohnehin engen und schwankenden Spielraum müssen sie auch noch mit dem riesigen Standbild einer hinduistischen Gottheit teilen. Am Ende hängt die Nationalfahne Großbritanniens schlaf und zerknittert über der Illusion einer Weltmacht.

Das ist alles guter, alter Harry Kupfer. Der heute 83-Jährige hat die Komische Oper Berlin mehr als 20 Jahre lang erfolgreich geleitet (1981 – 2002). Eine klare Botschaft ­gegen Krieg, Kolonialismus und Ausbeutung, verständlich artikuliert auch im Gesang mit Texten in deutscher Umgangssprache von heute, entspricht dem, was man von ihm erwartet. Die Dramatikerin Susanne Felicitas Wolf hat sie verfasst. Metastasios Longseller klingt bei ihr leider recht hölzern, schwerer wiegt jedoch, dass Kupfer die solide Brücke, die er diesem Werk des Barock in die Gegenwart gebaut hat, gar nicht betritt. Er steht nur davor und lässt die feldgrau uniformierten Briten und die von Yan Tax prachtvoll in farbige Gewänder gehüllten indischen Frauen und Männer gegeneinander antreten.

Der Handlung kann man mit Mühe folgen, verstehen kann man sie nicht, weil Kupfer an der komplizierten Psychologie der Rollen offenbar kein Interesse hatte. Vor allem für Alexander den Großen hat er nur Spott übrig. Ein Snob bittet zum Nachmittags-Tee. Bei Metastasio ist das ein sehr ernster Mann, der aus innerer Überzeugung Gutes tun will. Er achtet seine Gegner, verzeiht seinen Feinden, verhindert die Gewalt und verzichtet sogar auf die Liebe, weil er als kantianischer Preuße nur seine Pflicht erfüllt. Nichts daran ist lächerlich.

Man könnte schlafen, ohne etwas zu verpassen, wäre da nicht Händels Musik

Ein Eroberer kam ins Land

Metastasio lässt den Aufklärer daran scheitern, dass Poros, der indische König, Krieg gegen ihn führen muss. Er kann nicht anders, denn ein Eroberer kam ins Land. Das Versprechen des Wohlstandes und Friedens ist Betrug, und schon bald müssen die Leichen britischer Soldaten von der Bühne getragen werden.

Doch selbst in diesem mörderischen Anschlag auf sein Heer will Alexander nur den Mut tapferer Widerstandskämpfer erkennen. Mal wieder müssen die Frauen vermitteln, nämlich die Schwester und die Ehefrau des indischen Königs, was zu einer ermüdend verwickelten Folge von Liebesschwüren, Klagegesängen und Eifersuchts­szenen führt, die das Drama sicher nicht zum ewigen Meisterwerk machen.

Der Konflikt zwischen Machtansprüchen, die einerseits nur moralisch, andererseits nur historisch begründbar sind, zeugt jedoch von bemerkenswert politischer Weitsicht, auch wenn am Ende nur die konventionelle Versöhnung aller mit allen steht. Aktuell bleibt der Kern des Theaters von Metastasio bis heute und treibt die politische Landschaft Europas von einer Krise in die nächste.

Ratlos gestikulieren die Personen

Rein gar nichts davon ist in Harry Kupfers Regie auf der Bühne zu sehen. Ratlos und steif gestikulieren die Personen in ihren Rollen und dehnen das Werk in sturzlangweilige Längen. Nichts geschieht, alles wiederholt sich.

Man könnte einschlafen, ohne etwas zu verpassen, wenn da nicht Händels Musik wäre. Sparsam, variabel und subtil öffnet sie Ausdrucksräume. Aber weder Dominik Köninger als König Poros und Philipp Meyerhöfer als sein Vertrauter noch Ruzan Mantashyan als Königin Mahamaya und Idunnu Münch als Schwester des Poros können sie füllen. Sie singen ordentlich Note für Note, aber nur selten entsteht daraus der Spannungsbogen jener beseelten Melodien, für die man Händel lieben muss.

Richtig schlimm wird es mit dem Countertenor Eric Jurenas. Sein exaltiert piepsender Alexander ist kaum mehr als die Karikatur des affektierten englischen Adels.

Jörg Halubek leitet das Kammerorchester sachkundig, und der Applaus war am Ende für alle freundlich. Etwas lauter wurde es erst, als auch Harry Kupfer auf die Bühne kam. Bejubelt wurde wohl eher sein Lebenswerk als diese Inszenierung einer alten Oper, die so viel neuer sein könnte.

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