Schläge vom Boss

In Indien beginnt die Saison der weltweit grellsten Cricketliga. Chris Gayle, 39, ist ihr passender Star

Zielgenau: Chris Gale beherrscht die schnelle Spielform des Crickets perfekt Foto: ap

Von Thomas Winkler

Nicht einmal 150.000 Einwohner hat Mohali und ist damit für indische Verhältnisse eher ein Dorf als eine Stadt. Aber ab dem kommenden Wochenende wird das Städtchen im Pandschab, fünf Autostunden nördlich der indischen Hauptstadt New Delhi, zum Zentrum der Cricketwelt. Denn dann beginnt die neue Saison der Indian Premier League (IPL), der spektakulärsten Cricketliga der Welt. Und im beschaulichen Mohali, für die dort stationierten Kings XI Punjab, wird der spektakulärste Cricketspieler aller Zeiten antreten.

39 Jahre ist Chris Gayle mittlerweile alt, aber die jamaikanische Legende ist wieder in guter Form. Kürzlich prügelte er wieder einmal für die West Indies in einer Länderspielserie gegen England die Bälle quer durchs Stadion. Die englischen Bowler verzweifelten – wie die allermeisten ihrer Vorgänger in den vergangenen beiden Jahrzehnten auch – an der schieren Gewalt, mit der der „Universe Boss“, so der Spitzname, den sich Gayle selbst gegeben hat, den 160 Gramm schweren Korkball beschleunigt.

Gayles Spiel, seine Fähigkeit nahezu jeden in seine Richtung beförderten Ball in eine Six zu verwandeln, also über die Spielfeldbegrenzung hinaus zu schlagen, ist perfekt für Twenty20. Diese neueste, kürzeste und schnellste, aber auch grellste und lauteste Spielform des Cricket wird natürlich auch in der IPL gespielt, der grellsten und lautesten Cricketliga der Welt.

Seit der ersten Auflage 2008 der IPL sind die Kritiker zwar leiser geworden, aber gänzlich verstummt sind sie bis heute nicht. Tatsächlich hat ein IPL-Spiel nicht mehr viel gemein mit einem klassischen, fünf Tage währenden Test-Match. Die Feinheiten ihres Gentleman-Sports gehen verloren, klagen die Traditionshüter schon allein über das Twenty20-Format, aber in der IPL werden solche Details mit Füßen getreten. Die Spiele werden inszeniert wie NBA-Spiele, die besten Profis zu Heroen stilisiert. Die Eigentümer der acht Teams sind entweder Unternehmer wie Mukesh Ambani, Boss des Konzerns Re­liance und reichster Mann In­diens, oder Bollywoodstars wie Shah Rukh Khan, der seine Kolkata Knight Riders höchstpersönlich und sehr expressiv anzufeuern pflegt. Überhaupt werden Emotionen, sonst auf dem Cricketfeld argwöhnisch beäugt, in der indischen Profiliga ausgiebig gezeigt und gefeiert. Auch deshalb passt kein Spieler so gut in die IPL wie der schillernde, großmäulige Gayle, der seit 2009 jedes Jahr für immer mal wieder ein anderes Team, aber immer für gutes Geld die zwei Monate dauernde IPL-Saison spielt.

Wichtigstes Sportevent

Dank überlebensgroßer Figuren wie Gayle oder dem indischen Nationalmannschaftskapitän Virat Kohli, in diesem Jahr mit mehr als 2 Millionen Euro wieder Spitzenverdiener, ist die IPL nicht nur zum mit Abstand wichtigsten Sportereignis in Indien, sondern auch zum weltweit beachteten Spektakel geworden. Keine andere Cricketliga kann so viele Zuschauer verzeichnen, im vergangenen Jahr sahen 1,8 Millionen Menschen die 60 Spiele der Liga, die in alle Welt übertragen wird.

Dabei hat die IPL über die Jahre auch Rückschläge einstecken müssen. 2012 und 2013 wurden Profis verdächtigt, Spiele verschoben zu haben. In der Folge wurden nicht nur Spieler gesperrt, sondern auch zwei Klubs für zwei Jahre ausgeschlossen. Immer wieder tauchen Gerüchte auf, die Klubs zahlen illegale Handgelder an ihre Stars, einzelne Funktionäre waren in Wettskandale verwickelt. Verschiedene Franchises mussten den Spielbetrieb einstellen, und 2009 konnte die IPL nicht in Indien ausgespielt werden, sondern wurde komplett nach Südafrika verlegt. Aufgrund der damals parallel stattfindenden indischen Parlamentswahlen schien die Sicherheitslage unkontrollierbar. Fünf Jahre später wurde ein Drittel der Spiele aus demselben Grund in den Vereinigten Arabischen Emiraten ausgetragen.

Weil ab Ende April in Indien wieder gewählt wird, wurde bereits spekuliert, ob die IPL wieder in ein anderes Land verlegt werden würde. Stattdessen wurde der Beginn der Saison, die sonst im April und Mai stattfindet, vorgezogen auf Ende März. Diesmal waren aber nicht nur Sicherheitsbedenken der Grund. Die Stars sollen nach dem für den 12. Mai terminierten IPL-Finale zumindest ein paar Tage Pause bekommen, bevor sie weiterreisen zum – auch trotz IPL-Spektakel – immer noch wichtigsten Ereignis auf dem Cricketkalender.

Am 30. Mai beginnt in England die Weltmeisterschaft im One-Day-International-­Format. Es wird seine letzte ODI-WM sein, hat Chris Gayle angekündigt. Ob die kommende IPL-Spielzeit auch seine letzte sein sollte, das wird man in den kommenden Wochen in Mohali beobachten können.