Der Hausbesuch: Aus dem Vollen schöpfen

Ihr Schmuck soll stark und gefährlich sein. Die Designerin Nora Kovats ist vor drei Jahren aus Südafrika nach Berlin gezogen.

Eine Frau sitzt mit einer Tasse in der Hand auf dem Bett.

Schmuckdesignerin Nora Kovats ist zufällig in Berlin: Eigentlich wollte sie nach Süddeutschland Foto: Lia Darjes

Gerade hat Nora Kovats einem südafrikanischen Winzer per E-Mail angeboten, seine Weinetiketten zu illustrieren: mit den für sie typischen mäandernden Blüten, Blättern, Kleinwesen. Und seit Kurzem denkt die 28-Jährige auch darüber nach, künstlerische Siebdrucke zu verkaufen. Oder Geschenkpapier zu entwerfen. Aber vielleicht sollte sie doch lieber Short Stories schreiben. Obwohl, das macht sie ja schon. Genauso wie den Schmuck und die Objekte, für die sie einer immer größer werden Schar von Bewunderern bekannt ist. Zu Besuch bei einer Frau, die am liebsten aus dem Vollen schöpft, weil sie weiß, wie fragil das Leben ist.

Draußen: Eine ruhige Seitenstraße in Berlin-Friedrichshain. Anders als anderswo in diesem Bezirk ist das hier eine bodenständige Ecke, mit Spätis und Hundekacke am Straßenrand. Um die Ecke steht eines der letzten besetzten Häuser in Berlin. Nora Kovats’ Haus ist nach dem Krieg in eine Lücke gebaut worden, die Wohnungen sind absoluter Durchschnitt: mittelgroße Zimmer, mittelhohe Decken, mittelkleine Fenster. Das besondere sind ihre BewohnerInnen. Kovats wohnt in der zweiten Etage links.

Drinnen: Die Wohnungstür wird von einer ernst blickenden afrikanischen Maske bewacht. Über abgezogene Dielen geht es durch den Flur nach rechts ins Arbeits- und Wohnzimmer, nach links in Küche und Bad. Bett, Arbeitstisch, Teppich, Kommode, Sessel, ein paar ihrer Arbeiten an den Wänden – das war’s auch schon. Um ihren Schmuck zu bauen, um zu löten und zu feilen und zu hämmern und zu emaillieren, hat sie sich in eine kleine Gewerbewohnung in Neukölln eingemietet. Jeden Tag radelt sie quer durch die Stadt dorthin – vor ihrem Ladenfenster wird gedealt, im letzten Herbst wurde nur hundert Meter weiter ein Mann erschossen. Angst hat sie dennoch nicht.

Herkunft: Vor drei Jahren ist Nora Kovats aus Kapstadt nach Berlin gezogen. Sie hat die deutsche Staatsbürgerschaft, weil ihre Mutter – eine Lehrerin – Deutsche ist. Den ungarischen Nachnamen Kovats hat sie von ihrem bereits verstorbenen Vater. Er war Kontrabassist und ist 1960 nach Südafrika ausgewandert. „Ich bin ein identitärer Zwitter“, sagt Nora Kovats über sich selbst. „Ich habe eine deutsche Kernfamilie, die aber in einer ganz anderen Welt lebt.“ Hier in Berlin spürt sie immer die Präsenz ihrer Ahnen. Die meisten ihrer Familienmitglieder sind KünstlerInnen. „Jeder kann was anderes.“ Ihre Großtante, der die Wohnung in Berlin gehört, ist Drechslerin. Ihre Oma in Südafrika ist Töpferin. Die Urgroßmutter war Malerin – von ihrem auf eine Palette gemalten Selbstporträt schaut sie Nora beim Leben zu.

Tod: Schon als sehr junge Frau, mit 19 Jahren, kam Nora Kovats dem Tod nahe. Bei ihr wurde im linken Oberarm und im Schultergelenk ein Osteosarkom, ein bösartiger Knochentumor, festgestellt, sie hatte da gerade begonnen, in Stellenbosch bei Kapstadt Schmuckdesign zu studieren. „Die Möglichkeit zu sterben war da“, erinnert sie sich an diese Phase ihres Lebens. Und dass sie gedacht habe: „Ich habe noch so viel zu tun, der Welt noch so viel zu geben. Es war also klar, dass ich da jetzt durchgehe.“

Drei Chemotherapien hat sie hinter sich. Eine der vier Operationen dauerte acht Stunden, ihr junger Körper erlitt mehrere Embolien. Es war knapp. Statt den Arm zu amputieren, versuchte ein interdisziplinäres Medizinerteam etwas Neues: Sie entfernten nur Knochen und Schultergelenk und konnten so die Nerven und Muskeln erhalten. Sie wollten, dass ihre sehr junge Patientin weiter künstlerisch arbeiten kann. Nora Kovats’ linken Titan-Oberarm ziert heute eine große Narbe; man kann und soll sie ruhig sehen, wenn sie eine ihrer bunten kurzärmligen Blusen trägt. Hätte der Arm amputiert werden müssen, wäre sie Autorin oder Illustratorin geworden, sagt sie. „Schrei­ben und zeichnen kann ich auch mit einer Hand, für meinen Schmuck brauche ich zwei Hände.“

Ein Gemälde steht auf einem Regal.

Nora Kovats lebt ihre Kreativität vielseitig aus Foto: Lia Darjes

Leben: „Es gibt so viele Momente, in denen man sterben könnte“, sagt sie. Und dass sie fest entschlossen ist, ihr Leben voll auszukosten. Sie hat Mitgefühl mit Menschen, die Jobs machen, die ihnen keinen Spaß machen. „Wenn ich nach all dem meine Kunst nicht machen würde, käme das einer Sünde gleich. In mir ist dieses leuch­tende Etwas, auf das ich zuarbeite, eine Welle, die mich trägt und mit deren Hilfe ich Dinge bewirken kann.“ Das Risiko eines Rückfalls ist ihr geblieben.

Kunst: Nora Kovats hat in Stellenbosch Schmuckdesign studiert. Ihre Ketten, Ringe, Broschen und Objekte fallen auf zwischen dem „vernünftigen“ Schmuck aus Deutschland. Manche ihrer Stücke machen Geräusche, sie haben ein hohes Eigengewicht und piksen mitunter sanft in die Haut. Einige besetzt sie auf der nicht sichtbaren Rückseite mit winzigen Edelsteinsplittern – es sind versteckte Botschaften der Opulenz. „Ich mag, wenn mein Schmuck getragen wird, die Dinge sollen in die Welt. Wenn die Trägerin ein Geheimnis hat, umso besser.“ Ihr Anspruch, sagt sie, sei Zweideutigkeit. „Jeder versteht: Das ist eine Kette, das hier ein Ring und so weiter. Aber der Schmuck soll auch stark und gefährlich sein.“ Normierung empfindet sie als „Zumutung; ich mag nicht mal liniertes Papier. Es muss üppig sein.“

Heimweh: Sie lebt gern in Deutschland. Der zuverlässige öffentliche Verkehr, die Berliner Sommer, die Landschaften. Süddeutschland erinnert sie an zu Hause, anfangs hatte sie erwogen, sich dort niederzulassen, am Bodensee oder in Freiburg im Breisgau. Dann wurde es aber doch Berlin. „Zufall, ich habe nach einer bestimmten Art Menschen gesucht, die nicht so leicht zu finden sind.“ Zu anderen Expats hat Kovats kaum Kontakt. „Kein Bedürfnis“ – sie will Menschen kennen lernen, wie sie ihr über den Weg laufen. Überhaupt findet sie es „interessanter, wenn jemand mehrere Identitäten, Normalitäten hat“, sagt sie.

Aus Südafrika ist sie fortgegangen, weil sie sicher war, dass sie dort keine Zukunft als Designerin haben würde. Aber da sind auch andere Gründe. Besonders wichtig ist ihr das Gefühl von Sicherheit in Deutschland. „In Südafrika schaust du ständig über deine Schulter, gerade als Frau. Diese patriarchalen Einstellungen überall in der Gesellschaft, die hatte ich so satt.“

Einmal ist sie in Südafrika überfallen worden, der Angreifer hatte ein Messer – sie hatte ein Pfefferspray. Auch dieses Erlebnis, der Blick in seine Augen, beschreibt sie als Erfahrung zwischen Leben und Tod. Aber klar, Südafrika fehlt ihr. „Die Berge sind lila, das Meer hat jeden Tag eine andere Farbe. Mir fehlen meine Mutter, der südafrikanische Humor, der stetige Südostwind und ein beschlagenes Weißweinglas.“ Und die Art der SüdafrikanerInnen, sich mit ihrer Meinung auch mal zurückzuhalten.

Schmuckstücke in Form einer Grapefruit liegen auf einem Aquarell-Bild.

Mit ihrem Schmuck will Nora Kovats irritieren Foto: Lia Darjes

Identität: Nora Kovats ist beides: Südafrikanerin und Deutsche. „Die Deutschen kategorisieren gern, sie sagen mir gern, wie ich etwas noch besser machen kann“, beschreibt sie die Menschen in ihrem neuen Heimatland. Generell seien die Deutschen aber freundlich. In ihrer Nachbarschaft kennt sie inzwischen einige; sie spricht mit großer Wärme von den anderen MieterInnen im Haus. Die Politik ist ihr relativ egal. „Ich komme aus einem korrupten Land, man müsste dort die ganze Regierung ins Gefängnis stecken. Dagegen Deutschland: Solange keine extreme Partei regiert, ist es okay.“

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