Junge Dinger

Der erste Blick über den Tellerrand. Wenn das Große immer mehr zum Ganzen wird und der Button an der Brust als Beweis des Naivitätsverlustes glänzt. Als Erinnerung an Transparente, Sprüche im Chor und Menschenketten. Mehr Profi als jemals zuvor.

Lily Kuhlmann

Ein Schwarm von Jungs und Mädchen steht verlegen und bauchnabeltief im Wasser. Das Chlor gibt ihnen rote Augen und faltige Finger, das Schwimmbad lässt sie Körper entdecken und den Sommer vergeuden.

Antonio Prokscha

Das erste paar Schuhe, an das ich mich erinnern kann, waren Vans. Schwarz mit einem Muster aus pinkfarbenen Flamingos. Als wir in den Jemen fuhren, waren sie das einzige, woran man mich von den anderen verhüllten Frauen unterscheiden konnte. Sie in ihren braunen Ledersandalen, ich in den Flamingo-Vans. Die ganze Sohle hab ich durchgetragen, bis meine Mutter sie heimlich wegschmiss. Antonio Prokscha

Fest umgreifen. Das Feuerzeug zwischen Zeigefinger und Kronkorken. Schnalzen, gefolgt von Schaum. Billigbier ist in der Jugend ein Wegbegleiter, Freund und Feind. Was für den einen das Oettinger ist, ist für andere Karlskrone oder das gute Sterni. Kleine Kasse und Geselligkeit treiben einen dazu. Nach wenigen Schlucken hat man sich an den säuerlichen Geschmack gewöhnt oder nimmt ihn zumindest hin. Nicht selten trinkt man zu viel davon. Aber der Kater, der gehört den Erwachsenen. Antonio Prokscha

“Jugend ist Trunkenheit ohne Wein“, sagte Goethe im Rausch. Doch für viele junge Kurd_innen in Syrien ist das Jugendalter ein Aufwachen. Manches in der Kindheit Erlebte wird jetzt verstanden: Warum die zu Hause gesprochene kurdische Sprache in der Schule verboten ist. Warum die Familie und die Freundinnen einer Klassenkameradin sie mit ihrem kurdischen Namen, Hemrîn, rufen, während sie in der Schule und von Behörden mit A‘ischa angesprochen wird. Jugend war das Entdecken von jenem Teil der Geschichte, der in der Schule und in den uns zugänglichen Geschichtsbüchern verborgen blieb. Jugend war die Frage nach dem Namen des Menschen mit den Flügeln, Zarathustra, der von der Mehrheit der kurdischen Bevölkerung als Prophet betrachtet wird. Über ihn konnte man nur in Büchern lesen, die an sicheren Orten versteckt waren, in einer Sprache, die man zu sprechen gelernt hatte, aber weder zu lesen noch zu schreiben vermochte. So war eine kurdische Jugend in Syrien eine verpasste Jugend, in der Klarheit gewonnen wurde. Ismail Ismail

Zu einer Zeit, als Jugendliche die Raute noch vorrangig im Musikunterricht nutzten, hatte der Internet-Aktivist Chris Messina eine Idee, deren Wirkung sich erst Jahre später voll entfalten sollte. Er nutzte die Hashtags auf Twitter, um Informationen unter bestimmten Schlagwörtern zu bündeln. Zumindest ein bisschen Ordnung in der digitalen Informationsflut. Doch von ihrer ursprünglichen Bedeutung haben sich Hashtags inzwischen entkoppelt. Kein Sachverhalt, dem die Jugend keinen Hashtag verpasst. Die Raute ist zum Symbol geworden, kollektives Statement vieler Einzelner, das Bindeglied zwischen digitaler und analoger Welt, die so miteinander verschmelzen. Kein sozialer Protest funktioniert noch ohne Hashtag. Was kommt heutzutage zuerst: Die Bewegung? Oder die Raute? Die Hashtagisierung der Realität ist in vollem Gange. In England und in den USA soll es Eltern geben, die ihren Neugeborenen den Vornamen „Hashtag“ verpasst haben. Die Generation Z kann einpacken. Die Generation # ist auf dem Vormarsch. Oliver Koprivnjak

Der erste Kontakt mit dem dünnen Latex spielt sich auf verschiedene Weise ab. Peinlich berührt im Sexualkundeunterricht, verstört vor dem Regal der Eltern, glucksend auf dem Schulhof, nervös zitternd im Bett. Die Nervosität verfliegt mit der Zeit, genauso wie der strenge Latexgeruch.

Antonio Prokscha

Verklärter Blick, alles schöner mit Farbfilter. Nichts ist ehrlicher als die Emotion, nichts größer als die Liebe. Wir können alles schaffen. Wie lange ich dich lieben werde? Bis ans Ende meiner Tage! In der Sternschnuppennacht leuchtest du mit deiner Taschenlampe in den Himmel und wir verlieren uns in ihm, genauso wie der Lichtstrahl. Zeit existiert nicht. Alles wird gut, solange die Brille aufbleibt.

Lily Kuhlmann

Denke ich zurück, ist immer Sommer. Jugend ist heiß und draußen und endlos. Die Luft riecht nach Heu oder dem Gummi meiner Fahrradreifen auf heißem Asphalt. Ich habe zerstochene Beine und abgeschürfte Knie, was aber eigentlich ganz cool ist und ehrlich gesagt auch ein bisschen extra. Ich trage es mit Stolz. Genauso wie diesen Rock.

Lily Kuhlmann

Ein in der Jugend wie im Alter oft unbeliebter Gegenstand. Um als Teil dieser Gesellschaft zu funktionieren, muss jeder lernen aufzustehen, wenn er klingelt. Man hat ihn ja selbst gestellt. Frei gewählt, sich und seine Zeit für die Allgemeinheit in Arbeits- und in Freizeit einzuteilen. Denn Zeit ist Geld. Aber wenn Zeit relativ ist, was bedeutet das fürs Geld? Ist, wer ohne Geld lebt, zeitfrei? Richard Brüse

Dinger! Teile teilen, 1:1. Ballern! Abschuss der Verbote! Bis mein Feiergefährte zuhause zur Rede gestellt wurde. Leugnen kann man viel, allerdings keine Drogenscreenings. Wir haben alles geteilt, also betraf mich sein Ergebnis auch 1:1. Ich sah Schwarz auf Weiß, was für Dreck wir gefressen hatten. Der Test schlug auf alles an! Unter anderem Heroin, Crystal Meth, MDA. So etwas, hatte ich mir lange zuvor geschworen, würde ich nie anfassen. Man bekommt nicht immer, was man erwartet. Ab diesem Moment fing ich an, meinen Konsum zu reflektieren.

Richard Brüse

20 junge NachwuchsjournalistInnen hat die taz Panter Stiftung nach Berlin in die Redaktion ­eingeladen. Sie produzierten vier Tage lang diese vierseitige Sonderbeilage zum Thema„Jugend“