Schauprozess in Tschetschenien: Vier Jahre Lagerhaft für Bürgerrechtler

Ujub Titijew, der letzte Chef der Menschenrechtsgruppe Memorial, stand wegen angeblichen Drogenbesitzes vor Gericht. Nun wurde er verurteilt.

Ujub Titijew hinter Gittern

Schmunzelte beim Urteilsspruch: Memorial-Chef Ujub Titijew Foto: dpa

MOSKAU taz | Hoffnungen auf einen Freispruch gab es nicht. Daran hatten weder das Gericht in Tschetschenien noch die Statistik im Vorfeld Zweifel aufkommen lassen. Freisprüche kennt die russische Statistik in weniger als einem Prozent der Fälle.

Ujub Titijew, der letzte Leiter des Memorial Büros in der Republik Tschetschenien, hatte sich also auf eine längere Haftstrafe eingestellt. Zu vier Jahren Lagerhaft und einer Geldstrafe von 100.000 Rubel (1.350 Euro) verurteilte ihn das Gericht in Schali im Süden von Grosny. Im Lager darf er gelegentlich Gäste empfangen und sich frei bewegen. Dieser Aufenthaltsort gilt schon als Entgegenkommen und eine Erleichterung seitens der russischen Justiz.

Das Gericht unter der Richterin Madina Sinaetdinowa sah es als erwiesen an, dass Titijew am Tag der Festnahme, am 9. Januar 2018, im Besitz von 200 Gramm Marihuana gewesen sei. Detailgenau wurde dieser Vorgang in dem achtmonatigen Verfahren rekonstruiert.

Dabei war es bereits bei der Festnahme zu einem groben Fehler gekommen. Die Ermittler durchsuchten seinen Wagen ohne Zeugen. Titijew bestritt den Vorwurf des Drogenbesitzes und der Vorgang wurde unter Zeugen nachgestellt. Und siehe da! Diesmal fand sich die besagte Tüte mit 200 Gramm Marihuana in dem Auto. Ein Agent der Polizei, selbst drogensüchtig, gab den Hauptzeugen.

Neun Stunden stehen

Am Montag las die Richterin das Urteil in einem Marathon von neun Stunden und fünfzehn Minuten vor. Titijew und seine drei Anwälte mussten den Ausführungen im Stehen folgen. Die übrigen Zuhörer durften sich setzen. Dieser Vorfall beschreibt Verfahren, Glaubwürdigkeit und die tatsächliche Absicht, die hinter der Kriminalisierung des tschetschenischen Menschenrechtlers steht.

„Früher oder später werde ich die Namen der Halunken erfahren, die mir die Drogen untergejubelt haben. Ich habe keine Illusionen hinsichtlich des Urteils“, sagte Titijew schon in seinem Schlusswort letzte Woche. Er war ruhig, abgeklärt und schmunzelte sogar. So sehen keine ängstlich reuigen Sünder aus. Auch das Urteil nahm er am Montag gelassen entgegen. Was wollte er seiner Einschätzung des Verfahrens als einem „Rekord an Heuchelei und Zynismus“ auch noch hinzufügen?

Titijew ist gläubiger Moslem, er raucht und trinkt nicht. Bekannte, Freunde, Verwandte und Dorfälteste schätzen ihn sehr. Sie waren auch bei vielen Verhandlungen zugegen. Der 61-jährige Lehrer und Boxtrainer ist eine moralische Instanz in Tschetschenien. Selbst im Gericht betete er jeden Tag und erhielt dafür eine Stunde verhandlungsfreie Zeit.

Mit Drogenbesitz wollten die Vertreter der vom Autoritären ins Totalitäre abdriftenden Republikführung um Ramsan Kadyrow den Ruf des Menschenrechtlers beschädigen. Die Wahl Titijews als Drogendealer und Konsumenten stieß in der Gesellschaft jedoch auf Unglauben. Das drückte dem Fall von Anfang an den Stempel „Falsifikat“ auf. Grundsätzlich nimmt die tschetschenische Gesellschaft Drogenbesitz nicht als Kavaliersdelikt wahr.

Die Vorgängerin wurde ermordet

Ramsan Kadyrow ist Moskaus Statthalter in Tschetschenien. Der selbstherrliche Sultan lässt sich nur ungern Vorschriften aus Moskau machen. Die NGO Memorial ist ihm seit der Ernennung zum Republikführer 2004 ein Dorn im Auge. 2009 wurde Titijews Vorgängerin Natalja Estemirowa im Kaukasus ermordet. Die Täter wurden bislang nicht dingfest gemacht. Auch das Memorialbüro in Grosny ist inzwischen das letzte in Tschetschenien. Die anderen drei Niederlassungen mussten schon vorher schließen.

Kadyrow kündigte bereits im Vorfeld an, nach dem Prozess Mitarbeiter Memorials und Oppositionelle nicht mehr in die Republik zu lassen. Es werde ein „verbotenes Territorium für solche Leute genauso wie für Terroristen und Extremisten“, sagte das Republikoberhaupt.

Kadyrow war ohnehin erbost. Sein Instagram-Account war gesperrt worden. Nachdem klar war, dass das Regime in Grosny in einer Nacht im Januar 2017 mindestens 27 Homosexuelle erschießen ließ. Titijew war an der Aufdeckung beteiligt. Es war wohl sein letzter großer Einsatz.

„Ich baue auf Allah. Wenn er es für nötig hält, dass ich hinter Gittern sitze, nehme ich das an“, sagte Titijew. Allah habe den Gläubigen aufgetragen, mit „der Ungerechtigkeit zu kämpfen und ich werde das bis ans Ende meiner Tage tun“.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.