Gekapertes Schiff mit Flüchtlingen: Alles, nur nicht zurück nach Libyen

Eine Gruppe aus Seenot geretteter Flüchtlinge brachte einen türkischen Frachter im Mittelmeer in ihre Gewalt. Jetzt sind sie in Malta angekommen.

Soldaten der maltesischen Armee stehen an Bord des türkischen Öltankers El Hiblu

Ohne Widerstand ließen die Geflüchteten die Soldaten an Bord kommen Foto: ap

ROM/BRÜSSEL taz | Sie kaperten das Schiff, um nicht zurück nach Libyen zu müssen: Am Mittwoch übernahmen Migranten die Kontrolle über den türkischen Frachter „El Hiblu“ und brachten ihn auf Kurs nach Malta. Am Donnerstagmorgen lief das Schiff in den Hafen La Valletta ein.

Die Besatzung der „El Hiblu“ hatte zunächst 108 Flüchtlinge, 77 Männer, 19 Frauen und 12 Kinder, vor der libyschen Küste aus Seenot gerettet. Dann aber nahm das Schiff Kurs zurück auf Libyen. Dies war einer Gruppe der Migranten Anlass, die „El Hiblu“ in ihre Gewalt zu bringen – ein bisher nie dagewesener Fall.

Als das Schiff maltesische Hoheitsgewässer erreichte, nahm die Marine des Inselstaats Kontakt zum Kapitän auf, der bestätigte, dass er keine Befehlsgewalt mehr hatte. Vonseiten der Migranten erfolgte dann keinerlei Widerstand, als maltesische Soldaten an Bord gingen. Sie dirigierten die „El Hiblu“ nach La Valletta; dort gingen die Migranten ab 9.30 Uhr von Bord. Diejenigen, die gegen die Besatzung gemeutert hatten, müssen jetzt allerdings mit einem Strafverfahren rechnen; fünf der Migranten wurden offenbar mit gefesselten Händen an Land gebracht.

Völlig klar war der Fall wieder einmal für Italiens Innenminister und Chef der migrantenfeindlichen Lega. Er tönte sofort, bloß „Piraten“ seien da am Werk. Und als noch nicht feststand, ob das Schiff nun Malta oder Italien anlaufen werde, fügte er hinzu, einen Landgang in Italien könnten die Migranten vergessen, bestenfalls „durchs Fernglas“ würden sie Sicht auf das Land erhalten. Die deutsche Rettungsorganisation Sea Watch dagegen bewertete das Handeln der Migranten nicht als Piraterie, sondern als Akt der Selbstverteidigung.

Scharfe Kritik von Grünen-Spitzenkandidatin für Europawahl

Die EU-Reaktion fiel knapp und kühl aus. Man wolle den Vorfall nicht kommentieren, sondern erst die Ermittlungen der maltesischen Behörden abwarten, sagte eine Sprecherin der EU-Kommission in Brüssel. Die EU habe in den letzten vier Jahren mehr als 730.000 Menschen im Mittelmeer gerettet und sei stolz auf diese „robuste“ Bilanz.

Die umstrittene Ausbildung und Ausrüstung der libyschen Küstenwache solle jedoch weitergehen – trotz der verzweifelten Lage vieler Flüchtlinge. Das Ziel der EU sei es, das „sehr grausame Geschäftsmodell der Schlepper“ zu zerstören, erklärte die EU-Sprecherin. Außerdem bemühe man sich weiter, die Haftbedingungen in Libyen zu verbessern.

Scharfe Kritik kam dagegen von der grünen Europaabgeordneten und Spitzenkandidatin für die Europawahl, Ska Keller. Der Kapitän der „El Hiblu“ sei verpflichtet gewesen, die Flüchtlinge nach Europa zu bringen. Dies sei im internationalen Recht verankert, dem sogenannten „Refoulement“-Verbot. Die Geretteten müssten nun auch Asylanträge stellen können, so Keller weiter. Darum müsse sich Malta kümmern.

Keller forderte auch mehr Bereitschaft zur Aufnahme von Flüchtlingen. Die Grünen-Politikerin plädierte dafür, dass Deutschland und andere Länder vorangehen und einen dauerhaften Verteilungsschlüssel finden.

Für Salvini ist alles kein Problem

Bereits seit einigen Monaten finde „de facto keine Seenotrettung im Mittelmeer“ mehr statt, sagte Keller der taz. Dass nun auch noch die Marinemission „Sophia“ eingestellt wurde, sei ein „absolutes Armutszeugnis“.

Nur noch ein einziges Rettungsschiff kreuzt derzeit in den Gewässern vor Libyen

Für Italiens Innenminister Salvini hingegen ist das kein Problem: Er vertritt die Auffassung, dass nunmehr allein die libysche Küstenwache für Rettungsmaßnahmen zuständig ist. Dass den Flüchtlingen in den libyschen Lagern, in die sie dann zurückgebracht werden, unmenschliche Behandlung bis hin zur Folter droht, interessiert ihn nicht weiter. Für ihn zählt nur das Resultat, dass niemand mehr Italien erreicht.

Nur noch ein einziges Rettungsschiff, die „Alan Kurdi“ der deutschen NGO Sea Eye, kreuzt derzeit vor Libyen. Deren Besatzung berichtete von drei Booten, die durch die libysche Küstenwache abgefangen worden sein, von einem weiteren Schlauchboot, das sie leer aufgefunden hätten, und von einem fünften, das ihnen zunächst gemeldet worden sei, von dem aber jede Spur fehle.

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