Ultrakonservativer Kongress in Italien: Für Gott, Staat und Familie

In Verona findet das weltweit größte Treffen radikaler Abtreibungs­gegner statt. Gegen den World Congress of Families formiert sich Protest.

Zwei Frauen stehen vor einer Wand. Darauf ist ein Poster zu sehen, dass den Worls Congress of Families persifliert

Ein Poster in Mailand persifliert den Worl Congress of Families Foto: Massimo Albertico/Ipa/Fotogramma

VERONA taz | Der in pastellfarbenes Licht getauchte Saal ist bis auf den letzten Platz gefüllt. Auf der Bühne des herrschaftlichen Palasts aus dem 17. Jahrhundert steht Brian Brown, Vorsitzender des World Congress of Families, der an diesem Wochenende im norditalie­nischen Verona stattfindet. „Am Anfang der Menschheitsgeschichte“, sagt Brown in seiner Eröffnungsrede am Freitag, „steht die Familie: ein Mann, eine Frau, ein Kind.“

Brown, ein vierschrötiger Mann mit schütterem nach hinten gekämmtem Haar, ist bemüht, ein zwingendes, aber letztlich harmloses Bild von seinen Überzeugungen zu zeichnen. Doch der World Congress of Families ist das weltweit größte Treffen sogenannter Anti-Choice-AktivistInnen. Die Mission für die „natürliche Ehe und Familie“ in Browns Sinn bedeutet zugleich: Lobbyarbeit gegen die Ehe für alle, gegen reproduktive Rechte von Frauen und LGBTI und gegen Schwangerschaftsabbrüche.

TeilnehmerInnen des Kongresses forderten bereits Gefängnisstrafen für Frauen, die Abtreibungen hatten, und verglichen Homosexualität mit Seuchen und Homosexuelle mit der Terrorgruppe Boko Haram. Auch am Freitag werden erste RednerInnen deutlicher als Brown: Gegen all dies, wie Kongressgründer Allan Carlson sagt, gelte es, einen „Krieg“ zu gewinnen.

Beheimatet ist der World Congress of Families in der US-amerikanischen religiösen Rechten, doch das globale Netzwerk wächst. 1.500 TeilnehmerInnen werden laut Kongress an diesem Wochenende erwartet – und neben Evangelikalen und KatholikInnen aus Brasilien, Nigeria oder Russland sprechen am Samstag der italienische Innenminister Matteo Salvini von der rechten Regierungspartei Lega sowie der als christlich-fundamentalistisch geltende Familienminister Lorenzo Fontana. Der ungarische Botschafter im Vatikan und der polnische Botschafter in Italien kommen, zudem wird sich der Adel einfinden, am Samstag etwa die deutsche Katholikin und Fürstin Gloria von Thurn und Taxis. Die fiel bereits mehrfach mit rassistischen Auslassungen auf und unterstützte im September die homo- und transphobe „Demo für alle“ in München. Im Zusammenhang mit Abtreibung sprach sie von einer „Kultur des Todes und des Tötens“.

Beheimatet ist der World Congress of Families in der US-amerikanischen religiösen Rechten, doch das globale Netzwerk wächst

An dem jährlich an einem anderen Ort stattfindenden Kongress nahmen in den vergangenen Jahren verstärkt VertreterInnen rechter Parteien teil, ­darunter Beatrix von Storch von der AfD oder Fabrice Sorlin vom französischen Rassemblement National, früher Front National. Dass der Kongress nun ausgerechnet im nordita­lie­nischen Verona Station macht, in einem westeuropäischen Land, in dem seit Juni 2018 eine populistische Ko­ali­tion aus 5-Sterne-Bewegung und der Lega regiert, scheint in dieser Hinsicht ein strategischer Coup der Anti-Choice-Bewegung zu sein.

„Durch den Rechtsruck in Europa sehen sich die OrganisatorInnen im Aufwind“, sagt Neil Datta vom Europäischen Parlamentarischen Forum für Bevölkerung und Entwicklung (EFP), einem Netzwerk von ParlamentarierInnen, das sich mit reproduktiven Rechten beschäftigt. Früher hat der Kongress Allianzen mit politisch rechts stehenden Parteien eher still gepflegt, nun geht er in die Offensive.

Verona nennt sich „Stadt für das Leben“

Inhaltlich ist das pragmatisch, strategisch ist es klug. Zum einen gehen die Positionen völkischer PolitikerInnen und die der Lebensschutzbewegung häufig Hand in Hand. Zudem eröffnet sich die Rechte Zugang zu den WählerInnenmilieus konservativer Religiöser, während diese ihre Verbindungen in die institutionelle Politik stärken. „Der Kongress ist ein Brutkasten übler Ideen“, sagt Datta. „Aber wie in den vergangenen Jahren zu sehen war, bleibt es nicht bei Ideen, sondern mündet es schnell in Gesetze“.

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2017 machte eine europäische Regierung zum ersten Mal gemeinsame Sache mit dem Kongress: Ungarn sponserte ihn, Premier Viktor Orbán hielt die Eröffnungsrede. Seitdem führte Ungarn etwa Maßnahmen wie eine Gebärprämie für „mehr ungarische Kinder“ ein, während die Gender Studies aus dem Land verbannt wurden.

Ähnliches droht in Italien, wo Gesetze, die dem Kongress genehm sein dürften, bereits diskutiert werden. So brachte die Lega einen Gesetzentwurf ein, der Scheidungen erschweren soll und, wenn minderjährige Kinder im Haushalt leben, Zwangsmediation vorschreibt – um die „Einheit der Familie zu erhalten“. In einigen Regionen Italiens lehnen es bis zu 90 Prozent der ÄrztInnenschaft aus Gewissensgründen ab, Schwangerschaftsabbrüche vorzunehmen.

Auch das Setting in Verona ist insofern gut gewählt: Verona nennt sich „Stadt für das Leben“ und hat historisch enge Verbindungen zur katholischen Kirche und zur politischen Rechten. Der Sohn des Chefs der neofaschistischen Forza Nuova, Roberto Fiore, wird am Kongress teilnehmen, Familienminister Fontana stammt aus Verona und ist Schirmherr des Kongresses. Innenminister Salvini zeigte sich in Rom bereits mit Brian Brown und dem Logo des Kongresses, einem stilisierten Mann in Blau und einer Frau in Rot.

Das Motto dieses Jahr, zwei Monate vor den Wahlen zum Europäischen Parlament: „The Wind of Change: Europa und die globale Bewegung für die Familie“. Sogar der Präsident des Europäischen Parlaments, Antonio Tajani, der sich in der Vergangenheit dezidiert gegen Abtreibung und die Ehe für alle aussprach, wurde zwischenzeitlich als Redner bei dem Kongress angekündigt. Doch Tajani verschwand wieder von der Seite – kommentarlos.

Ein Grund dafür dürfte gewesen sein, dass der Kongress die Rechnung ohne die Zivilgesellschaft gemacht hat. Zum ersten Mal in der Geschichte des Kongresses gibt es eine Gegenmobilisierung, die sich sehen lassen kann. „Bisher war die Strategie der internatio­nalen progressiven Community, den Kongress geschehen zu lassen und ihm nicht noch mehr Sichtbarkeit zu geben“, sagt Datta. „Aber diesmal geht der Plan des Kongresses, seine Positionen unwidersprochen in den Mainstream sickern zu lassen, nicht auf.“

Uni verweigerte dem Kongress Räume

In weniger als zehn Tagen unterzeichneten mehr als 100.000 Menschen eine Petition, um die italienische Regierung aufzufordern, den Kongress nicht zu unterstützen. Die Universität von Verona machte gerade öffentlich, dass sie dem Kongress bereits im Dezember Räume verweigert hat. „Die behandelten Themen sowie die Position der Organisatoren haben keinerlei wissenschaftliches Fundament“, schrieb der Rektor.

160 ProfessorInnen und ForscherInnen unterzeichneten einen offenen Brief gegen den Kongress, italienweit taten sich Hunderte LehrerInnen zusammen: „Wir distanzieren uns entschieden vom Weltbild des World Congress of Families“, heißt es da. „Einem Weltbild, das wir als faschistisch, fremdenfeindlich, rassistisch, sexistisch und homophob betrachten“.

Und schließlich ging auch der Ko­ali­tionspartner, die 5-Sterne-Bewegung, auf Abstand. „Wenn einer von Ihnen der Meinung ist, dass eine Frau zu Hause bleiben sollte, um zu tun, was Sie ihr sagen, dann ist die 5-Sterne-Bewegung nichts für Sie“, sagte Italiens Vizeministerpräsident Luigi di Maio. Allerdings wandte sich die Partei bislang nicht gegen das Vorhaben, Scheidungen zu erschweren. Immerhin ist laut Programm nun aber kein Mitglied beim Kongress vertreten.

Nicht zuletzt diesem Gegenwind ist es wohl auch zu verdanken, dass die Schirmherrschaft nicht mehr beim Büro des parteilosen Ministerpräsidenten Giuseppe Conte liegt. Der sagte, er habe dieser nie zugestimmt – Minister Fontana übernahm. Und selbst Salvini hielt nicht wie erwartet die Eröffnungsrede am Freitag, sondern spricht nun als einer unter vielen am Samstag auf einem Podium. Die Offensive des Kongresses fällt eine Nummer kleiner aus, als von den OrganisatorInnen erhofft.

Geplant sind zahlreiche Podien, Lesungen und Konzerte, zu denen interna­tio­nale Stars der feministischen Szene wie Marta Dillon aus Argentinien anreisen

Zudem zeichnet sich ab, dass die Gegenproteste auch zahlenmäßig den eigentlichen Kongress übertreffen werden. Am Freitag versammelten sich zunächst rund 40 AktivistInnen zu einer ersten Pressekonferenz in der veronesischen Altstadt in einem schlichten Erdgeschossraum, der seit den 1970er Jahren für feministische Veranstaltungen genutzt wird. Pinke Plakate beschreiben Verona als „transfeministische Stadt“. „Es geht um die Freiheit, über unsere Körper und unsere Sexualität selbst zu entscheiden“, sagt eine in Schwarz und Pink gekleidete Frau.

Für die Gegendemonstration am Samstag rechnen die VeranstalterInnen mit mehreren Zehntausend TeilnehmerInnen. Die Gruppe Non una di meno („Nicht eine weniger“), die in Italien bereits Frauenstreiks und landesweite Proteste am 8. März organisierte, gibt sich kämpferisch: „Wir sind die feministische, transfeministische, antirassistische und antifaschistische Flut, die Verona überschwemmen wird“, heißt es in dem Aufruf der Gruppe. Man werde sich dem Kongress „mit Wut, Entschlossenheit und Fantasie entgegenstellen“, kündigen die AktivistInnen an.

Geplant sind zahlreiche Podien, Lesungen, Konzerte, zu denen interna­tio­nale Stars der feministischen Szene wie Marta Dillon aus Argentinien anreisen. Innerhalb Italiens fahren Busse aus mindestens 15 Städten nach Verona, zahlreiche NGOs, Bürgerrechtsorganisationen und Parteien wie die Partito Democratico mobilisieren für die Gegendemo unter dem Motto „Freies Verona, säkulares Italien“.

Eine der deutschen TeilnehmerInnen am Gegengipfel, die Philosophin Eva von Redecker, ist bereits am Freitag vor Ort. Bei den Protesten gehe es darum, feministische Solidarität zu üben und emanzipatorische Perspektiven aufzuzeigen. „Es wäre fatal, sich dem Kongress defensiv gegenüberzustellen“, sagt sie. „Jede Art von Fürsorgearbeit steht derzeit enorm unter Druck. Die Familie ist der letzte Rückzugsort, in dem es um eine andere Ökonomie geht, in dem nicht alles bezahlt und aufgerechnet werden muss. Aber diese Krise der Familie müssen wir zugeben – und klarmachen: Wir haben die bessere Antwort.“

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