Jan-Paul Koopmann
Popmusik und Eigensinn
: Rap im Alter

Foto: privat

Eins der ersten wirklich interessanten Sachen, die ich in der Schule gelernt habe, war dass es früher keine Jugend gab. Man war halt irgendwie da – und dann bald an der Arbeit. Mir fällt das gerade ein, weil Captain Gips auf dem neuen Neonschwarz-Album rapt: „Uh, sie sagen Vierzig ist das neue Dreißig / Und das der Captain dafür der Beweis ist“. Wahrscheinlich hat er recht. Wahrscheinlich gibt es heute wieder keine Jugend mehr, weil niemand damit aufhört. Und trotzdem fühle ich mich jedes Mal ein kleines Bisschen älter, wenn ich eine neue Politrap-Platte höre.

Dass ich tatsächlich älter als die Musiker bin, kann ich sogar beweisen: Neonschwarz-Sängerin Marie Curry war auf meiner Schule nämlich vier Klassen unter mir. Dass älter nun nicht unbedingt schlauer heißen muss, sieht man daran, dass der Unterschied plötzlich nur noch drei Jahrgänge betrug.

Über „Clash“, die neue Platte, ließe sich nun altklug sagen, dass so typische Rapsachen drauf sind: mit „hey!“ und „uh!“ und wo man sein Label immer dazu sagt (Audiolith in diesem Fall). Das kriegen Neonschwarz inklusive ironischer Brechungen gut über die Bühne. Ein bisschen verkrampft klingen sie lustigerweise nur und ausgerechnet da, wo sie sich extra locker machen und mit Autotune vom Chillen was erzählen.

Aber das ist ja auch kein Wunder. Es gibt wenig zu lachen im Moment, selbst wenn man sich Mühe gibt. Und darum erzähle ich ja überhaupt von früher. Zeckenrap und ich, wir gehören eben doch immer noch zur gleichen Bubble, wie man sagt. Und die schlechten Erfahrungen, die wir da gerade alle miteinander aushalten müssen, hat selten jemand so klar und schnickschnackfrei auf den Punkt gebracht wie Neonschwarz: „Jeder weiß, Geschichte kann sich wiederholen / Doch ich gebe zu, in meiner Seifenblase hätt’ich nicht gedacht, / dass es so schnell passiert“. Es immer schon gewusst zu haben und dann aber trotzdem geschockt zu sein, ist eine höchst sonderbare und beklemmende Angelegenheit: „Gestern noch ein No-Go, gestern noch undenkbar / Gestern dachten alle ‚Regt euch ab, ihr seht Gespenster!‘“

Das ist in der Zwischenzeit passiert: NSU, AfD, Hannibal und überhaupt dieser steil drehende Sicherheitsapparat, der von seinem bürgerlichen Fanmob sogar noch überboten wird. Das haben wir alles schon in den 90ern gesagt – und im Grunde selber nicht ganz daran geglaubt. Und genau diese Erfahrung in einer Musik gespiegelt zu bekommen, die immer noch und trotzdem von dieser Energie gespeist ist, ist schön. Dass Neonschwarz und all die anderen dazu noch in der Lage sind, eine ganz neue Generation junger Menschen aufs Angenehmste zum Durchdrehen zu bringen, ist sogar noch erfreulicher. Auch wenn das jetzt wirklich ziemlich schlimm alt klingt.

Sa, 6. 4., 20 Uhr, Schlachthof