Zum Free Jazz übergelaufen

Der Jazzkeller wird 50 und hat damit schon mal 10 Jahre mehr geschafft als das Land,
in dem er sich gegründet hat: in der DDR. Zum Jubiläum ehrt man Thelonius Monk

Der Posaunist Marc Boukouya im Jazzkeller Treptow 1995 Foto: Detlev Schilke

Von Robert Mießner

„Die Musik kam ja zuerst aus dem Radio“, sagt Assi Glöde inmitten von Regalen, voll mit Radioapparaten aus dem vorigen Jahrhundert. Es ist Sonntagnachmittag im Industriesalon Schöneweide, dem ehemaligen Werk für Fernsehelektronik der DDR, jetzt ein Museum. Wir sitzen im Büro, der Weg dorthin hat uns vorbei an Schweißmaschinen, Messgeräten, dem ersten Mikrowellenherd der DDR, Störsendern gegen den Klassenfeind und immer wieder Radios geführt. Assi Glöde ist Organisator des Jazzkellers 69 e. V. und dessen Vereinsvorsitzender, einer, der sehr oft „wir“ sagt; er erinnert sich daran, als Musik noch nicht mit einem Mausklick abgerufen werden konnte. Damals, in „der kleinen DDR“, wie er sie nennt: „Man konnte ja Westschallplatten kaufen, aber für teures Ostgeld. Und, wir hatten immer die Livemusik.“

Die 69 im Namen seines Vereins steht für das Gründungsjahr seines Vorgängers, des Jazzkellers Treptow, eine der Ostberliner Adressen für die „Ami-Musik“, die der Ordnungsstaat DDR zuerst brüsk abwehrte und später, durchaus prestige- und devisenbringend, umarmen sollte. Der Jazzkeller, bei aller wechselvollen Geschichte an verschiedenen Orten, von denen Schöneweide nur einer ist, wird in diesem Jahr 50; er hat also schon mal 10 Jahre mehr geschafft als die DDR. Dass es mit ihr zu Ende war, wusste Glöde, beim Jazzkeller ist er seit 1982, am 9. November 1989.

Den Mauerfall hat er vor dem Fernseher verbracht, nach Westberlin ist er erst zwei Tage später gegangen, und auch dann hat er sich keine Platten gekauft. Das Angebot hätte ihn förmlich erschlagen. Und wenn, hätte er sich eher keinen Jazz mit nach Hause gebracht, sondern Rockmusik: „King Crimson wahrscheinlich“. Von denen ist Glöde großer Fan, zu ihren Konzerten geht er noch heute.

Sein Erweckungserlebnis in Sachen Jazz hatte Assi Glöde mit den ganz schweren Jungs, den Freejazzern Peter Brötzmann, Fred van Hove und Han Bennink, in den Siebzigern bei Jazz in der Kammer, einer legendären Veranstaltungsreihe am Deutschen Theater in Berlin-Mitte: „Da bin ich aus dem Konzert rausgetaumelt, obwohl ich keinen Alkohol getrunken hab‘, und hab‘ gedacht: Entweder hast du jetzt den größten Scheiß deines Lebens gehört oder ‚ne Sternstunde der Menschheit miterlebt – auch das ist mir erst später klargeworden, dass es so ’ne Sternstunde war. 1974 bin ich dann direkt zum Free Jazz übergelaufen.“ Dabei betont Glöde: „Jazz soll ja auch Spaß machen. Es darf swingen, aber it must schwing? Nee, das muss es nicht. Außerdem liegt der Swing immer in dir drin.“

Während Glöde erzählt, weht gelegentlich ein ganz spezieller Swing in das Gespräch hinein. Im Nebenraum probt die Berliner Saxophonistin Silke Eberhard mit einem kleinen Orchester für den Auftritt, der in zwei Stunden beginnen soll. „Potsa Lotsa“ heißt ihr Projekt, nach einer Komposition des afroamerikanischen Multiinstrumentalisten Eric Dolphy aus den frühen Sechzigerjahren. Dolphys und Eberhards Stücke bilden den Grundstock des Programms.

„Unsere wichtigsten Förderer neben ihr sind die Musiker“

Assi Glöde

Ein anderer Großer aus der Zeit, da der Jazz sich frei spielte, wird zu Ostern vom Jazzkeller gefeiert werden: Thelonious Monk, der schalkhafte Pianist, der einmal gesagt hat: „Wrong is right.“ Ein schönes Motto, mit dem lässt sich 50 werden und weitermachen.

Monk, eine wichtige Figur bei einem anderen Pianisten, dem seit DDR-Zeiten mit dem Keller verbundenen Ulrich Gumpert, wird am Freitag und am Sonntag im Aufsturz in der Oranienburger Straße, der zweiten momentanen Adresse des vagabundierenden Jazzkellers, zu hören sein. Interpretiert von den jungen Musikern Paul Engelmann (Altsaxofon), Ben Lehmann (Bass) und Mo Schärfke (Schlagzeug). Richtig gelesen, ohne Klavier.

„Wir lassen uns gerne überraschen“, sagt Assi Glöde. Und eins möchte er noch hinzufügen: „Warum haben wir so lange durchgehalten? Weil wir uns immer bemüht haben, die Musiker anständig zu bezahlen. Das ging und geht nicht ohne die Stadt. Aber unsere wichtigsten Förderer neben ihr sind die Musiker.“

Monktage – Das Gesamtwerk des Thelonious Monk – The Next Generation. 19. und 21. April, Aufsturz, Oranienburger Str. 67, 21 Uhr