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Stadt und Land

„Essen mit Anspruch“, taz vom 30. 3. 19

Mit welcher Aggressivität aktuell in Kreuzberg gegen die Markthalle Neun vorgegangen wird, hat uns sehr erschreckt. Auch Ihr Artikel schlägt in dieselbe Kerbe und beleuchtet die positiven Entwicklungen, die durch die Markthalle Neun angestoßen wurden, überhaupt nicht.

Wir als Biohof Werder halten Hühner in Mobilställen und liefern die Eier in die Markthalle Neun. Die Markthalle Neun ist seit vielen Jahren ein wichtiger und zuverlässiger Partner. Und genau solche Partner brauchen regionale bäuerliche Betriebe wie wir, um in Brandenburg überleben zu können. Aldi und Lidl sind keine Partner, mit denen wir hier draußen gegen Landgrabbing, Massentierhaltung, Höfesterben und Artensterben kämpfen. Die Agrarwende braucht Orte wie die Markthalle Neun, in denen Lebensmittel von regionalen bäuerlichen Betrieben angeboten werden.

Die Ängste der Menschen in Kreuzberg, die um ihre Wohnungen kämpfen, können wir vollkommen nachvollziehen. Aber die Lebensmittel von Aldi & Co sind nur deshalb so billig, weil dafür Menschen weltweit unter miesen Bedingungen arbeiten, Tiere unter unwürdigen Bedingungen gehalten werden und unsere Lebensgrundlagen ausgebeutet werden. Die Markthalle Neun, die für viele Menschen Arbeitsplätze und Perspektiven geschaffen hat, ist nicht die Wurzel des Problems. Es darf kein „Luxus“ sein, fair und nachhaltig produziertes Gemüse, Obst und Eier zu kaufen! Für eine Markthalle Neun, die Menschen in der Stadt und auf dem Land verbindet! Rahel Volz, Jochen Fritz

Neue Entwurzelung

„Die Mühen der Flüchtlingsebene“, taz vom 19. 3. 19

Die Tempohomes für Flüchtlinge auf dem Tempelhofer Feld sollen bis Ende Juni geräumt werden. Abgesehen von der verantwortungslosen Verschwendung von Steuergeldern – die Container haben knapp 17 Millionen Euro gekostet und werden nach eineinhalb Jahren abgebaut – bedeutet diese Maßnahme eine erneute Entwurzelung der Menschen. Die Flüchtlinge, die nach ihrer Ankunft meist in Massenunterkünften untergebracht waren, haben in den Containern endlich wieder so etwas wie Privatsphäre erleben können. Nun sollen sie wieder in Unterkünfte mit Gemeinschaftsküche und gemeinschaftlichen sanitären Einrichtungen ziehen.

Jedem ist klar, dass das Containerdorf keine dauerhafte Einrichtung bleiben kann, aber wenn die Initiative 100 Prozent Tempelhof sagt, die Flüchtlinge sollten besser in Wohnungen untergebracht werden, dann ist das nur zynisch. Das weiß jeder in Berlin, der eine Wohnung sucht und nicht zu den Top-Verdienern gehört.

Die Containersiedlung funktioniert sehr gut. Das bestätigen die dort tätigen Sozialarbeiter, die Security-Firma, die Polizei und das Jugendamt sowie alle externen Mitarbeiter. Die Kinder sind in den drei umliegenden Bezirken Tempelhof, Schöneberg und Kreuzberg untergebracht. Viele von ihnen müssen nach der Räumung die Schule wechseln. Es wird Wohnraum für 1.200 Menschen zerstört. Es wäre möglich, die Frist für das Containerdorf zu verlängern. Hier wird das „Tempelhofgesetz“ ohne Rücksicht auf bedürftige Menschen durchgesetzt. Irmgard Sellmair, Berlin

Greta-Syndrom

Berliner SPD legt sich mit der Bundeswehr an“, taz vom 2. 4. 19

Wie sehr ich als politischer Mensch auch den Beschluss der Berliner SPD begrüße, Armeewerbung an Schulen zu verbieten, so sehr bitte ich auch zu berücksichtigen, dass Schülerinnen und Schüler über ein eigenes Urteilsvermögen verfügen, das berühmte Greta-Syndrom: Meiner Erfahrung nach entlarven Schüler und Schülerinnen schnell die sehr dünne Argumentation der Offiziere auf moralisch-ethischer Basis (Du sollst nicht töten!), auf politischer Ebene (Kein Land hat das Recht, anderen Ländern einen Krieg aufzuzwingen) und in praktisch-monetärer Hinsicht (Geldverschwendung, Materialmängel). Rolf Bergmeier, Berlin

Geistige Provinz

Nicht mehr Platz für den König“, taz vom 4. 4. 19

Bei der BVG liebt Frau Nikutta vor allem sich selbst. Was dort über die mehr als eine Million KönigInnen – als welche die KundInnen des öffentlichen Nahverkehrs ja betrachtet werden sollten – wirklich gedacht wird, erleben wir täglich etwa beim Umsteigen von der U 7 über den vollgeschissenen, vollgepissten und vollgekotzten U-Bahnhof Yorckstraße zur S-Bahn, die uns dann in „Außenbezirke“ wie das südliche Schöneberg bringt, weil die Wohnung in Mitte zu teuer geworden ist. Für die Dienstwagen fahrenden Thinktanks der Berliner Verkehrsbetriebe sind wir der letzte Dreck. Bis zur Rente werden wir mit den gerade in der Anschaffung stehenden Kleinst-U-Bahnen der neuen Baureihe IK umherjuckeln müssen, von der BVG liebevoll „Icke“ getauft, als käme man aus der geistigen Provinz des ARD-Vorabendfernsehens der 80er Jahre. Aus der Fahrgast-Perspektive betrachtet stehen diese neuen, von außen durchaus futuristisch dreinschauenden IK-Züge, in denen im Innenraum der Platz fehlt, dann doch eher für ein „ich kotze“. Aber wen kümmert das? Auf dem Bahnhof Yorckstraße wird es dann auch nicht noch übler riechen. Und in den hübschen schwarzen VIP-Shuttles von Berlin-König werden die letzten und neuen EinwohnerInnen von Berlin-Mitte nichts davon mitbekommen.

Dirk Christoph Lubien, Berlin