Umbruch im Sudan: Revolutionäre gehen nicht nach Hause

Die Verhandlungen zwischen dem Militärrat und der Opposition über eine zivile Regierung sind geplatzt. Die Demonstrationen gehen weiter.

Menschen halten bei Nacht Smartphones in die Luft, in der Mitte des Bildes hält jemand die sudanesische Fahne hoch

„Die Unterdrückung hat uns nicht dumm gemacht“, sagt ein Demonstrant Foto: dpa

KHARTUM taz | „Ich habe jetzt gemischte Gefühle bezüglich unserer Revolution. Ich kann nicht mehr als warten.“ Die 23-jährige Zahnmedizinstudentin Ammani Razik ist verwirrt, nachdem die Anführer der Volksproteste gegen die Militärführung im Sudan am Sonntagabend die Konsultationen mit der Armee über eine neue Übergangsregierung ausgesetzt haben. „Sind wir gespalten oder versuchen die Militärs, die Luft aus unserer Revolte herauszuholen? Die Jahre unter der Herrschaft des vertriebenen Präsidenten Omar al-Bashir haben mich zu allem und jedem misstrauisch gemacht.“

Auf dem Weg zur Universität schaut sie noch mal vorbei am Platz vor dem Militärhauptquartier in der Hauptstadt Khartum, auf dem sich die Dauerdemonstranten gegen das Militärregime aufhalten. Seit dem 6. April sind sie Tag und Nacht geblieben, erst um den Rücktritt Bashirs zu erzwingen, dann um den an Ba­shirs Stelle getretenen Militärrat mit ihrer massiven Präsenz unter Druck zu setzen.

„Ich war am Sonntagabend mit so vielen anderen hier, um zu hören, wer in der zukünftigen Zivilregierung Platz nehmen würde. Ich habe jetzt einen Kater, nachdem diese Ankündigung abgesagt wurde und das Treffen verschoben ist“, sagt Razik an der Brücke, auf der Dutzende von Jugendlichen mit Metallgegenständen auf das Stahlgeländer trommeln.

Die Organisatoren der Proteste, die Sudanese Professionals Association (SPA), sagt, das der Militärrat ihre Forderung nicht erfüllt habe, die Macht direkt an eine zivile Regierung zu übergeben. Der Militärrat sagt, er habe verschiedene Vorschläge für die Zusammensetzung einer Zivilregierung erhalten und brauche eine Woche, um sie zu studieren. Die Stimmung auf der Straße ist jetzt wieder feindseliger.

Anführer des Militärrats ausgebuht

„Was auch immer ist, wir müssen weiter protestieren und dürfen den Druck auf den Militärrat nicht entspannen“, sagt Razik. Am Sonntagabend hatten sich die Demonstranten gegen den Anführer des Militärrats gewandt, General Abdel Fattah Burhan, der regelmäßig auf die Straße ging, um mit Demonstranten zu sprechen. Die Demonstranten sammelten sich in dicken Reihen vor dem Militärhauptquartier und sangen Parolen gegen Burhan.

Im Machtkampf erhielt der Militärrat Unterstützung von Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten, die 3 Milliarden US-Dollar versprechen, als Spritze für Sudans kaputte Wirtschaft. Der Aufstand, der im Dezember begann, war zunächst ein Protest gegen hohe Preise für Brot und Benzin.

Studentin Razik muss nicht für bessere Lebensbedingungen demonstrieren. „Meiner Familie geht es wirtschaftlich gut, aber ich möchte später meinen potenziellen Kindern sagen können, dass ich mitgeholfen habe, das scheußliche Regime von Bashir zu beenden. Obwohl es mich nicht direkt getroffen hat, kann ich meine Augen nicht verschließen vor den Bedürfnissen meiner Leute.“ Als sie weggeht, hebt sie ihre Hand und streckt unbewaffneten Soldaten, die zwischen den Demonstranten laufen, zwei Finger mit dem V-Zeichen entgegen. Die Männer in Uniform lächeln.

Gut informierte De­mons­tran­t*in­nen

Der Protest ist ein ständiges Happening. Musik wird gemacht, Fußball gespielt. Kliniken in Zelten bieten medizinische Versorgung. Ein Arzt, der die ganze Nacht beschäftigt war, schläft auf einem Bett. Straßenkinder erhalten eine Mahlzeit als Gegenleistung für die Reinigung des Platzes und für das Sammeln von Plastikflaschen. Das Plastik transportieren Recyclingunternehmen kostenlos ab.

Die Demonstranten sind jung und alt, in Jeans oder mit Turbanen auf dem Kopf. Es gibt Studenten und Arbeiter, Eltern mit ihren Kindern und Geschäftsleute, Menschen aus dem ganzen Land, die auf ihre regionalen Probleme aufmerksam machen. Ein Lehrer an einer Koranschule will Gleichheit für alle: „Welche Farbe, Religion oder Herkunft wir auch immer haben, wir müssen alle gleich behandelt werden und die gleichen Möglichkeiten haben.“ Frauen bilden einen großen Teil der Demonstranten. „Wir wollen die gleiche Bezahlung wie Männer, wenn wir dieselbe Arbeit leisten. Wir wollen respektiert und gehört werden“, schreien ein paar junge Frauen in engen Jeans, weiten Blusen und Turnschuhen.

So unterschiedlich sie sein mögen, sie sind alle über die Politik der Vergangenheit und auch über das derzeitige politische Spiel gut informiert. „Wir durften unter Bashir nicht den Mund aufmachen“, sagt der junge Lehrer Mohamed al-Bakr. „Aber wir wissen sehr gut, was los ist. Die Unterdrückung hat uns nicht dumm gemacht.“

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.