die woche in berlin
: die woche in berlin

Sie hatten die Chance, alles ganz anders zu machen – und nutzten sie: Eine Teilnehmerin der U24-taz zieht Bilanz. Auch die Polizei sollte manches ganz anders machen, siehe ihre eigene Berichterstattung über den angeblichen „Alleinunfall“ eines Radfahrers. Und macht manchmal ihre Sache auch nicht ganz falsch – wie bei der freundlichen Räumung einer von Klimaschützer*innen besetzten Brücke

Weil wir ganz anders sind

Wie war die U24-taz? Bilanz einer Teilnehmerin

Alles neu oder wird nur wiedergekäut, was längst besteht? Lautet die wohl spannendste Frage am Dienstagabend, als wir U24-tazler die Redaktionsräume in der Friedrichstraße betreten. Wir, die 14-bis 24-Jährigen, sind aus allen Winkeln Deutschlands angereist, um die Jubiläumsausgabe der taz zu gestalten. Komplett allein: Kein Artikel wird von älteren tazlern geschrieben, lediglich auf Tipps können wir zurückgreifen.

Dabei sehen sich viele von uns selbst gar nicht als Nachwuchsjournalist*innen und wollen später nicht unbedingt im Journalismus arbeiten. „Finanziell zu unsicher“, erklärt Moritz Fritsch, U24-tazler. Andere haben längst feste Berufe und wollen einfach mal schauen, wie Zeitungmachen so abläuft. Eine gute Gelegenheit, denn sonst können sich ein Praktikum nur die leisten, denen es finanziell ermöglicht wird.

Unsere Gruppe hat also das Potenzial, den Journalismus von Grund auf zu revolutionieren. Junge Menschen aus verschiedenen Orten, unterschiedlichen Berufsbranchen und sozialen Milieus versammeln sich, um gemeinsam eine Zeitung zu gestalten. Zunächst scheint aber alles wie immer: Alte weiße Männer erklären inbrünstig, aber ohne wirklichen Plan, wie der morgige Tag ablaufen wird. Wir hören zu. Nein, das Layout und die Ressorts wollen wir nicht aufbrechen, alles bleibt wie es ist. Wirklich? Am nächsten Morgen folgt die große Konferenz. Einer der Sprecher an diesem Tag, Thilo Hoeland, eigentlich Wasserprobennehmer in Niedersachsen, leitet die Konferenz. Zunächst wird standesgemäß eine Blattkritik abgehalten, danach die wichtigen Themen für den kommenden Tag besprochen, doch dann regt sich etwas – eine Debatte. Wie soll die Titelseite gestaltet werden? Die einen wollen ein positives Pamphlet daraufsetzen, weg von schwarzmalerischen Zukunftsvisionen. „Auf keinen Fall, wir sind eine vielseitige Gruppe mit diversen Meinungen, die sollen dort repräsentiert werden“, sagt die Gegenseite. Die Diskussion wird vertagt. Alle gehen eifrig an die Arbeit, beraten, unterstützen und kritisieren einander. Bis Druckschluss sind alle Seiten fertig, das Layout wurde an einigen Stellen doch aufgebrochen, aber das ist nicht mehr entscheidend, viel wichtiger ist der Inhalt.

Wer am Donnerstag die taz in den Händen hält, betrachtet das bunte „Wir“ in Form einer geballten Faust auf der Titelseite. Die Botschaft richtet sich von uns, die gerade erst beginnen zu partizipieren, an euch, die schon lange Gesellschaft mitgestalten – und das ist schon eine Revolution für sich. Denn wir, die dort schreiben sind viel heterogener, als ihr, die ihr schon so lange sämtliche Schlüsselpositionen besetzt.

Da schreibt zum Beispiel Lisa Rubin darüber, wie es ist, blind zu sein, und Aya Elhodary, die Kopftuch trägt, plädiert für eine vorurteilsfreie Gesellschaft, in der sie einen Platz finden kann, ohne auf ihre Kopfbedeckung reduziert zu werden. Die Texte sind sehr politisch, beschäftigen sich mit Minderheiten, Menschenwürde und tagesaktuellen Nachrichten. Vor allem aber tragen sie eine Botschaft: Wir können gar nichts wiederkäuen, weil wir ganz anders sind.

Joana Nietfeld

Bad Cops: Marketing in eigener Sache

Unfall mit Radler: Wieder verbreitet die Polizei Fake News

Die Polizei lügt. Nicht generell, aber doch zu oft, um ihre Meldungen ungeprüft zu übernehmen. Dies gilt insbesondere dann, wenn Polizisten selbst Akteure sind, wenn es also ein Interesse der Behörde gibt, sich selbst in einem günstigen Licht erscheinen zu lassen.

Vor anderthalb Wochen berichtete die Polizei über einen „Alleinunfall“ eine Radfahrers in Kreuzberg. Schon diese ungewöhnliche Wortwahl hätte ein Signal für eine kritische Überprüfung sein können, aber geschenkt. Wie die Polizei in ihrer Mitteilung weiter schrieb, sei der Radfahrer über eine rote Ampel gefahren. Ein Motorradpolizist habe ihn daraufhin ver­folgt, bis der 29-Jährige „ohne erkennbare Fremdeinwirkung vom Gehweg“ abgekommen sei. Bei dem Aufprall auf einen Straßenbaum verletzte sich der Radfahrer schwer.

Wie üblich wurde die Meldung der Polizei von vielen Medien übernommen, eins zu eins, ohne weitere Nachfrage. Mehrere Augenzeugen reagierten empört: Sie geben an, beobachtet zu haben, wie der Motorradpolizist den Radfahrer touchiert, ihm womöglich sogar in den Lenker gegriffen habe. Dies hätten sie auch bei der Befragung durch Polizisten unmittelbar nach dem Vorfall angegeben. In der offiziellen Version des Vorgangs durch die Polizei fand sich ihre Perspektive dann jedoch nicht wieder. Nachdem die Zeugen die Öffentlichkeit suchten, musste die Polizei reagieren und teilte mit, nun auch im „polizeiinternen Bereich“ zu ermitteln.

Der Fall reiht sich ein in eine Serie weiterer Falschmeldungen, etwa bei der Räumung des Neuköllner ­Kiezladens in der Friedelstraße 54. Die Polizei twitterte damals von einem angeblich unter Strom gesetzten Türknauf, einer tödlichen Falle für ihre Beamten, und dominierte damit die Berichterstattung über den teils brutalen Einsatz. Auch in der Rigaer Straße machte sich die Polizei zum politischen Akteur, als sie die Absurdität verbreitete, mit „Säure-Graffiti“ beworfen worden zu sein.

Der neueste Vorfall zeigt: Es ist nicht nur Twitter, das die Polizei, die als Behörde einer besonderen Wahrheitspflicht unterliegt, zu vorschnellen und falschen Aussagen verleitet. Vielmehr handelt es sich um ein strukturelles Problem. Die Pressestelle der Polizei ist kein neutraler Akteur. Sie macht Marketing in eigener Sache. Da wird die „Gegenseite“ dämonisiert und eigenes Fehlverhalten verschleiert. Das ist verboten und ärgerlich. Ändern kann man daran nichts. Man kann aber aufhören, Polizeimeldungen ungeprüft zu übernehmen. Erik Peter

Good Cops: friedliche Räumung

Extinction Rebellion: erstaunlichkonfliktfreie erste Aktion

Nein, mit den Massenprotesten von London war die erste Aktion von „Extinction Rebellion“ in Berlin nicht wirklich zu vergleichen. In der britischen Hauptstadt blockierten viele tausend Menschen zentrale Verkehrsverbindungen wie die Waterloo Bridge und den Piccadilly Circus – und zwar teilweise mehrere Tage lang in Zelten. Mehr als 300 wurden am Ende von Scotland Yard festgenommen.

Ungefähr so viele beteiligten sich in Berlin insgesamt an der Blockade der Oberbaumbrücke, der einzigen, die am Montag zustande kam – für knapp drei Stunden. Doch hier war es ja auch die erste Aktion von Extinction Rebellion, und immerhin ist der Plan, den massenhaften zivilen Ungehorsam für mehr Klimaschutz auch nach Berlin zu holen, damit überhaupt aufgegangen. Vor der Brückenblockade hatten bereits mehrere hundert Menschen vor dem Bundestag und später bei einem Fest an der Jannowitzbrücke ihre Forderungen vorgestellt, zu denen vor allem eine schnelle Reduktion der Treibhausgase und mehr Mitsprache der BürgerInnen gehören.

Deutlich anders als in London – und auch als sonst in Deutschland oft üblich – verlief auch die Räumung der Blockade. VermittlerInnen von Extinction Rebellion, die blaue Friedenstauben auf ihren Westen trugen, schlugen den AktivistInnen vor, der Polizei die Arbeit möglichst leicht zu machen und sich nur ein Stück weit tragen zu lassen – worauf sich die Mehrheit der TeilnehmerInnen auch einließ. Die Polizei revanchierte sich, indem sie auf die bei Räumungen sonst oft üblichen Tritte und Schmerzgriffe verzichtete. „Möchten Sie laufen oder getragen werden?“, fragten die Beamte alle, die auf der Straße sitzen. „Och, von Ihnen würde ich mich schon gern ein Stück tragen lassen“, antwortet eine Demonstrantin. „Na, Sie sind ja zum Glück nicht so schwer“, flirtet der bärtige Polizist zurück.

„Ohne Helm und ohne Knüppel seid ihr schön“, sangen die AktivistInnen während der Räumung. Und die Polizei verzichtete tatsächlich auf den Einsatz dieser Gerätschaften. Einigen Beteiligten ging die Kooperationsbereitschaft dann aber doch noch weit. „Es heißt nicht ziviler Gehorsam, sondern ziviler Ungehorsam“, rief ein Teilnehmer genervt.

Doch die morgendliche Ankündigung, für die eigene Überzeugung notfalls auch ins Gefängnis zu gehen, wurde in Berlin für keineN der Beteiligten Realität. Nur fünf, denen die Polizei Beleidigung, Widerstand und Gefährdung des Straßenverkehrs vorwirft, wurden kurzzeitig festgenommen. Die Allermeisten, die sich wegtragen ließen, wurden ohne Personalienfeststellung am Ende der Brücke sofort wieder entlassen.

Malte Kreutzfeldt

„Ohne Helm und ohne Knüppel seid ihr schön“

„Extinction Rebellion“-Aktivist*innenbei der Räumung der von ihnen besetzten Oberbaumbrücke durch die Polizei