Das Gespenst von Berlin: Die flamboyante Hochstaplerin

Vor einem Jahrhundert machte die berüchtigte „Gräfin Colonna“ mit ihrer Diebesbande Berlins Villenviertel unsicher.

„Gräfinnenjäger“: Albert Dettmann (links im Bild) als Darsteller in dem Film „Kellerkavaliere (Der Liebe Lust und Leid)“ von 1926). Dettmann hatte sich in die Bande der „Gräfin“ eingeschleust und spielte sich damals selbst im Film Foto: Deutsche Kinemathek – Museum für Film und Fernsehen

Albert Dettmann ist einer der fähigsten Kriminal-Oberwachtmeister im Berliner Polizeipräsidium. Wenn „das Fahndungs-Ass“ einmal eine Fährte aufgenommen hat, verbeißt es sich wie ein Terrier in den Fall und ignoriert dann beharrlich seine Dienstvorschriften.

So eckt der notorische Einzelgänger sehr oft bei seinen Vorgesetzten an und kommt deshalb nie über den Rang eines Oberwachtmeisters hinaus. Die Berliner Verbrecherwelt findet das ungerecht, bei ihr ist der volkstümliche Dettmann äußerst beliebt, aber im Zweifelsfall wegen seines perfektionierten Schusses aus der Manteltasche auch mit Vorsicht zu genießen.

Gesellschaftliche Normen wie Recht und Unrecht haben nach dem Ende des 1. Weltkriegs kaum noch Gültigkeit: „Gegen Albert Dettmann kämpft man nicht“, lautet daher die Devise der „Apachen“ (Ganoven) von Berlin, die der Kriminalschriftsteller Leo Heller in seinen Büchern über die Berliner Unterwelt festgehalten hat. Dettmann ist sogar gern gesehener Gast bei „Stiftungsfesten“ gut getarnter Ringvereine, einschlägiger Gesellschaften, in denen die Berliner Kriminellen organisiert sind. Ganz besonders wird der „große, gut aussehende Polizeibeamte“, wie ihn der berühmte Strafverteidiger Erich Frey in seinen Erinnerungen beschrieben hat, von der Damenwelt verehrt.

Im Frühjahr 1919 geht ein Aufschrei des Entsetzens durch die Villenviertel des Berliner Westens. Eine dreiste Bande ist aktiv, begeht ständig neue Einbrüche, irgendwie muss sie auch Insiderwissen haben. Das mysteriöse „Gespenst von Berlin“, wie die Presse sie tauft, geht um!

Eine illustre kriminelle Gesellschaft

Doch ein Quäntchen Bewunderung schwingt immer mit, wenn von den „außerordentlich verwegenen“ Einbrüchen der Diebesbande um die geheimnisvolle „Gräfin Colonna“ die Rede ist. In Wirklichkeit heißt die jedoch wenig flamboyant Ella Stutz, wurde am 5. März 1894 in Berlin als Tochter eines Maurermeisters geboren und ist ohne Beruf. Daher beschließt Ella irgendwann, einen Adelstitel aus den zarten Spitzenärmelchen ihrer royalen Robe hervorzuzaubern und als „Gräfin Colonna“ eine illustre kriminelle Gesellschaft um sich zu scharen. Aussicht auf Erfolg hat sie, denn Hochstaplerinnen haben in der Weimarer Zeit mit einer grundsätzlich erhöhten Kriminalitätsrate sowieso Hochkonjunktur.

Das letzte Lebenszeichen der „Gräfin“ datiert vom November 1946, als sie angeblich nur für drei Monate in die USA einreist

Die Bande der „Gräfin Colonna“ begeht Einbrüche in ganz großem Stil, von denen die Tagespresse gerne ausführlich berichtet. Ellas Bruder Erich Stutz ist Mitglied, ebenso die Modistin Emma Gadegast als „Baronin de Belly“, der vorbestrafte Schlosser Willy Dahl und der Landwirt Joachim von Bötticher. Letzterer ist geistig in eher desolater Verfassung und somit für den Job eigentlich ungeeignet: „Er machte ganz den Eindruck, als wäre er während des Kriegs mal mit seiner Maschine aus großer Höhe abgestürzt“, beschrieb ihn Frey wenig schmeichelhaft.

Auf die Vorgehensweise der Bande ist Verlass: Stets sucht die schöne „Gräfin“ Kontakt zu wohlhabenden Männern, bezirzt ihre Opfer, um dann deren Wohnungen auszuspähen. Dann gewährt sie den ihren Reizen schnell Erliegenden „Schäferstündchen“ in ihrer eigenen Behausung, während derweil ihre nicht minder ausgebufften Komplizen beherzt die Zielobjekte großflächig ausrauben.

Doch diesmal hat die Bande die Rechnung ohne den Wirt gemacht – und der heißt Dettmann. Der 1878 in Potsdam geborene Sohn eines Gefängnisaufsehers, dem man somit die Wacht über Recht und Ordnung an der Spree schon in die Wiege gelegt hat, schleust sich inkognito in den Diebeskreis ein und gewinnt das Vertrauen und dann die Verliebtheit der diesmal gar nicht so ausgebufften „Gräfin“.

Tumulte, Tränen, Enttarnung – Moabit

Und so kommt es, wie es kommen muss: Tumulte, Tränen, Enttarnung, Moabit. Am 10. November 1919 wird die „Gräfin“ zusammen mit ihren Komplizen verhaftet und am 2. Juli 1920 zu vierzehn Monaten Haft verurteilt. Endlich kann die Hautevolee aufatmen, beruhigt des Abends auf ihren samtenen Kissen einschlummern und von sorglosen Champagnerpartys träumen, während unzählige Menschen in den Straßen von Berlin nicht wissen, woher sie ihre nächste warme Mahlzeit bekommen sollen.

Doch schon nach neun Monaten gelingt der „Gräfin“ die Flucht. Albert Dettmann wiederum gelingt ein Fahndungserfolg nach dem anderen, zudem hat er einen Cameo-Auftritt als Kriminalkommissar in dem Film „Der Liebe Lust und Leid“ nach seinem eigenen Drehbuch unter der Regie von Kurt Gerron, der 1944 in Auschwitz ermordet wird. Aus gesundheitlichen Gründen muss Dettmann jedoch vorzeitig in Rente gehen und stirbt Ende August 1927 mit nicht einmal 50 Jahren an einem Schlaganfall. Zahlreiche Vertreter der Berliner Verbrecherwelt schreiten bei der Beerdigung des wackeren Polizeibeamten hinter dessen Sarg her. Viele sind allerdings verhindert, denn Moabit ist unerbittlich.

Für die „Gräfin“ gibt es schon lange kein Zurück mehr in die Bürgerlichkeit. Im Mai 1928 wird sie in Zürich verhaftet, doch bereits im Oktober 1930 residiert sie wieder frei und fürstlich im feudalen Londoner Savoy-Hotel. Am 11. des Monats macht sie sich schließlich auf dem Schiff „Orama“ in Richtung Australien aus dem Staub, natürlich nicht als reumütiger weiblicher Kettensträfling, sondern als russischstämmige sportbegeisterte „Baroness von Elpons“.

Den aus verarmtem Adel stammenden Schauspieler Kurt von Elpons hat sie bereits 1922 in Zoppot geheiratet und sich nur ein Jahr später wieder scheiden lassen. Viele Lügen erzählt die pathologische Hochstaplerin der gutgläubigen Lokalpresse in Melbourne und rührt die Leser vor allem mit der Story zu Tränen, dass sie sich im Krieg an der Front aufopferungsvoll als Krankenschwester betätigt habe. In ihrer ausgeprägten Geltungssucht geht sie sogar so weit, sich den Journalisten als gute Bekannte von Adolf Hitler zu präsentieren.

Realität oder Fantasie?

Anfang 1931 heiratet sie den ahnungslosen James Stanley McCarthy und zieht mit ihm nach Sydney, wo James die Vertretung der britischen Autofirma „Leyland Motors Ltd.“ übernimmt. Ella sonnt sich zunächst als „Society Lady“ im Glanz der allgemeinen Bewunderung, verlässt 1938 dann aber gelangweilt ihren Mann in Richtung Europa, wo sie am 8. September 1938 in Liverpool ankommt.

Das letzte Lebenszeichen der „Gräfin“ datiert vom 2. November 1946, als sie angeblich nur für drei Monate in die USA einreist, wie eine Passagierliste verrät. Dann verliert sich ihre Spur, die laut Erich Frey nach Italien führte, wo Ella Leiterin einer Spionageorganisation gewesen sein soll.

Realität oder Fantasie? Es ist das letzte Geheimnis einer Hochstaplerin, wie sie nur die Zeit der Weimarer Republik hervorgebracht haben kann, in der der „schöne Schein“ schnell verblenden konnte.

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