Vom Blau ins Grau

George Brants Drama „Am Boden“ erzählt von einer Drohnenpilotin. Anna Berndt inszeniert den viel gespielten Monolog am Deutschen Theater

Die Pilotin (Anja Schneider) am Arbeitsplatz im Container Foto: Arno Declair

Von Tom Mustroph

Der Theatermonolog „Am Boden“ beschreibt den so skurrilen wie folgenreichen Alltag einer Drohnenpilotin, die in einem Container in einer Wüste im Südwesten der USA sitzt und Raketen auf Ziele in einer arabischen Wüste abfeuert. „Jeden Tag begrüßt mich meine Familie, wenn ich aus dem Krieg heimkomme, jeden Tag“, sagt Anja Schneider, die diese Drohnensteuerin durchgehend burschikos verkörpert.

In ihrer Stimme halten sich die Freude, die Ihren täglich zu sehen, und die Enttäuschung, doch nicht den „richtigen“ Krieg zu führen, die Waage. Denn wer aus dem „richtigen“ Krieg heimkommt, wird mit dem schmissigen Sound der Militärkapelle empfangen und bekommt Orden. Diese Pilotin hier aber kehrt jeden Tag nach Hause zurück. Sie kann sich in ihrem Auto auf der Fahrt vom Stützpunkt immerhin zeitgemäßere Musik als die Bläsersätze der Kapelle einlegen. Zu Hause aber muss sie den Schnuller ihrer Tochter aufheben und abputzen.

Die Verzivilisierung des Krieges – von der „Air Force“ zur „Chair Force“ – ist das Hauptmotiv des weltweit mit Erfolg gespielten Stücks von George Brant, das Anna Berndt für die Box im Deutschen Theater inszeniert hat. Brant lässt in die Gemüter jener Menschen blicken, die sich als Götter fühlen können, als Herrscher über Leben und Tod. Ein Mausklick – und eine echte Rakete zerfetzt Tausende Kilometer entfernt ein Auto. Türen, Reifen, Arme, Beine und Oberkörper wirbeln durch die Luft. Man bleibt noch „drauf“, bis der Staub sich gelegt hat, Körper- und Fahrzeugteile auf den Boden gefallen sind und die Wärmekameras anzeigen, wie das, was daliegt, langsam erkaltet und farblich mit dem Grau der Anzeige der Umgebungstemperatur verschmilzt. Brants Text zeigt auch, dass diese „Götter“ noch „Obergötter“ haben, die über Kopfhörer den Befehl zum Abschuss geben.

Als dramatischen Höhepunkt lässt der Autor die Pilotin psychisch wirr werden im „Sesselkrieg“. Die Bilder von ihrem Zielobjekt auf dem Monitor verbinden sich mit Bildern ihres eigenen Autos und Bildern ihrer Tochter. Sie verweigert den Todesklick. Es gibt aber noch die Back-up-Drohne. So hielt es schon das herkömmliche Militär bei Erschießungskommandos: Hinter denen, die die Hinrichtung ausführten, stand eine weitere Reihe Soldaten, die je nach Bedarf auf die überlebenden Opfer feuerte – oder auf die Soldaten, die das Mordwerk verweigert hatten.

Dass der Drohnenkrieg ein Henkersgeschäft ist, wird hier klar, ein Henkersgeschäft ohne Gerichtsbeschluss übrigens. Es ist die Stärke des Stücks, auf das Thema hinzuweisen. Seine Schwäche ist, diesen Aspekt nur anzudeuten und sich auf den psychischen Niedergang der Joy-Stick-Pilotin zu konzentrieren. Die war einst stolze Kampfpilotin, die ins Blau des Himmels vorstieß, wegen ihrer Schwangerschaft dann aber auf Drohnenfernlenkerin umgeschult wurde. Vom Blau des Himmels in das Grau der Monitor-Bilder von den Wüsten Arabiens.

Als Fachfrau überlegte sie noch, wo hier der Kontrollraum sei

Den Monolog vom Abstieg bettet die Regisseurin Anna Berndt in eine Vortragssituation der Ex-Pilotin ein. Das Spiel im Spiel nimmt der Inszenierung Schärfe. Recht einfallslos ist als Bühnenbild ein Container – ähnlich dem, in dem die „Chair Force“ hockt – in die Mitte der kleinen Box des DT gestellt. Das ist die eher dürftige Bebilderung eines Textes, der beim reinen Lesen Sogwirkung entfaltet. Man hätte ihn entweder puristisch inszenieren können oder sich zur opulenten Bilderschlacht des Blaus des Himmels und des Graus der Wüste entscheiden und für den narrativen Grundstrom des Stücks ein passendes visuelles Arrangement entwickeln können. Weder das eine noch das andere geschieht, Berndt wählt den drögen Mittelweg.

Denn Motiv der Abschussverweigerung der Pilotin ist nicht etwa Empathie mit den Opfern, sondern eine Verschiebung von Subjekt- und Objekt-Status. Sie selbst hat sich als Objekt der Beobachtung im Supermarkt erfahren. Als Fachfrau überlegte sie noch, wo hier der Kontrollraum sei. Nach dieser Erfahrung des Beobachtet-Seins vermischten sich die Bilder, die sie professionell sah, mit den Bildern, die sich andere Professionelle von ihr machten. Die Inszenierung verschenkt diesen Schlüsselmoment.

Schade ist auch, dass das Programmheft verschweigt, dass die Bundeswehr selbst seit 2010 schon Drohnen einsetzt. Lediglich das jüngst beschlossene Kampfdrohnen-Leasing-Geschäft wird erwähnt. Mit einem bisschen mehr Mut zur Polemik wäre im Programmheft sicher Platz gewesen für einen Abdruck der aktuellen Stellenanzeige der Bundeswehr zur Ausbildung als „Drohnenpilot (m/w/d) in der Laufbahn der Offiziere“. Ein starkes Thema, weniger stark umgesetzt.

Wieder am 27. 5., 20 Uhr, Deutsches Theater