Sie wollen an die Ohren

Juventus hat viel investiert, um das Halbfinale zu erreichen. Gegen die Jungspunde von Ajax Amsterdam wird es aber auf mehr ankommen

Gerangel ums Halbfinale: Hier zwischen Dušan Tadić (Ajax) und Juve-Spieler Daniele Rugani Foto: ap

Von Valeria Meta

Es sieht wie ein klassisches David-gegen-Goliath aus. Im heutigen Rückspiel des Champions-League-Viertelfinales trifft Italiens Rekordmeister Juventus Turin auf die Jungen vom Ajax Amsterdam. Das Team des ehemaligen Bayern II-Trainers Erik ten Hag steht erstmals seit 2003 vor der Möglichkeit, ins Halbfinale einzuziehen: Damals besuchten die meisten der heutigen Spieler nicht einmal die Grundschule. Juves Superstar Cristiano Ronaldo dagegen begeisterte schon mit 18 Jahren die Sporting-Anhänger in Lissabon.

Und dennoch: Nach dem 1:1 im Hinspiel in der Johan Cruyff Arena ist noch alles offen. Die Amsterdamer haben schon im Estadio Santiago Bernabéu Titelträger Real Madrid mit 4:1 geschlagen und mit ihrer spannenden, offensiven Spielweise für Aufsehen gesorgt. Dass Ajax ein weiteres Wunder schafft, scheint diesmal aber eher unwahrscheinlich.

Das liegt nicht an dem talentierten, aber relativ unerfahrenen Team von ten Hag, sondern an der Art und Weise, wie sich Juventus auf dieses Spiel vorbereitet hat. Der Henkelpott, oder wie man in Italien sagt, der „Ohrenpokal“ („la coppa dalle grandi orecchie“) ist den Turinern zur Obsession geworden. Zweimal in den letzten vier Jahren musste sich die Mannschaft von Trainer Massimiliano Allegri im Finale geschlagen geben: 2015 gegen Luis Enriques FC Barcelona, 2017 gegen Zinedine Zidanes Real Madrid. Präsident Andrea Agnelli hat seine Schlüsse gezogen und den einzigen Spieler besorgt, der seiner Meinung nach den Pott sichern kann: Cristiano Ronaldo. 100 Millionen Euro Ablöse plus „zusätzliche Kosten“ in Höhe von zwölf Millionen bezahlte Juventus, um den fünfmaligen Weltfußballer nach Turin zu holen. Und tatsächlich hat der Portugiese bisher alle Erwartungen erfüllt: Auch dank seiner 19 Tore sind die „Bianconeri“ nur noch einen Punkt vom Meistertitel entfernt. Noch wichtiger aber war sein Tor in Amsterdam, durch das Juve heute im Prinzip ein torloses Unentschieden reicht. Von einem möglichen Ausscheiden will in Turin ohnehin niemand etwas wissen. „Gewinnen ist nicht wichtig – es ist das Einzige, was zählt“, so lautet das Team-Motto.

Ajax geht mit der Situation ganz anders um. Ein nationaler Titel fehlt schon seit 2014, ein europäischer gar seit 1996. Trotzdem bleibt der Klub seiner Philosophie treu: junge Spieler auszubilden und Offensivfußball spielen zu lassen, so, wie es Klub-Legende Johan Cruijff gelehrt hat. Die heutige Mannschaft ist eine Mischung zwischen Jung und Alt: Der 30-jährige Serbe Dušan Tadić beweist, dass es zu kurz gegriffen wäre, den Erfolg einzig auf die jungen Spieler zu reduzieren. Übrigens passen die Eigenschaften dieses untypischen Stürmers perfekt zum eleganten Positionsspiel der Amsterdamer. Schaut man sich ihre Spiele an, gewinnt man den Eindruck, dass das Feld je nach ihren Bewegungen jeweils enger oder breiter wird.

Neben Mittelfeldmann Frenkie de Jong, dessen Einsatz wegen einer leichten Verletzung fraglich ist, und Kapitän Matthijs de Ligt spielen auch Innenverteidiger Daley Blind (sein Vater Danny wurde 1996 mit Ajax Championsleaguesieger) und Donny van de Beek entscheidende Rollen. Beide können Räume dort schaffen, wo sie sonst keiner sieht. Im Hinspiel hat Ajax bewiesen, dass es rein fußballerisch in der Lage ist, Juventus Schwierigkeiten zu bereiten. Ob das reicht, um den Bianconeri um Mr. Henkelpott CR7 eine weitere europäische Enttäuschung zu bereiten, wird sich heute zeigen.