Künstlerische Intelligenz

Können Computer kreativ sein? In Hannover setzen sich eine Ausstellung, eine Filmreihe und ein Themenabend mit der künstlichen Intelligenz in Kunst und Kultur auseinander

Wie eine sterbende Tarantel wehrt sich dieser hydraulische Greifarm gegen seine sich verselbständigende Programmierung Foto: Federico Perezzani, Fausto Caliari, Courtesy Galleria Continua and Galerie Rolando Anselmi

Von Bettina Maria Brosowsky

Künstliche Intelligenz, kurz KI: nur der neuste „heiße Scheiß“ oder ist da mehr daran? Immerhin widmet das Bundesministerium für Bildung und Forschung sein Wissenschaftsjahr 2019 der KI. Und da Hannover dieses Jahr wegen erodierenden Fachinteresses erstmals seit gefühlten Jahrzehnten ohne sein Alleinstellungsmerkmal, die IT-Leitmesse Cebit, leben muss, springt die Stiftung Niedersachsen engagiert in die Bresche und veranstaltet als bundesweiter Pionier diesen Mittwoch und Donnerstag eine Tagung zu künstlicher Intelligenz im Kunst- und Kultursektor.

Denn anders als in der Industrie und der Wirtschaft, in denen die Digitalisierung schon weit vorangeschritten ist und die ökonomische Wertschöpfung revolutioniert, macht sich in den schönen und darstellenden Künsten eine ja nicht unsympathische Resilienz breit: Literatur, Malerei und andere Sparten verharren gerne im Analogen, produzieren Bücher, Bilder oder Bühnenstücke.

Der in New York lebende Superstar des Grafikdesigns, der gebürtige Österreicher Stefan Sagemeister, erklärte kürzlich im Interview mit der Süddeutschen Zeitung, dass im digitalen Zeitalter gar die Schönheit drohe, verloren zu gehen. Seine These: Menschen benehmen sich auf funktionalen Tools wie Twitter zwangsläufig schlecht, auf ästhetischeren Varianten wie Instagram pflegen sie offensichtlich weniger Aggressionen.

Mag ja sein – und wäre weiterer Beobachtung wert, wie sie sich das Hannoversche Vorhaben auf die Fahnen geschrieben hat. Denn es ist auf eine mehrjährige Zukunftsforschung und deren Gestaltung angelegt, die man nicht kampflos der Wirtschaft und Wissenschaft überlassen wolle. Die Tagung ist ein erster Schritt, eine KI-Schule für Kulturschaffende soll folgen, anschließend können konkrete Projekte in der Schnittstelle Wissenschaft, Kunst und Technologie gefördert werden.

Nicht nur den Hype gefüttert

Es geht also nicht darum, einen aktuellen Hype zu füttern, wie es Programmleiterin Tabea Golgath zusammenfasst. Es soll eine grundsätzliche Auseinandersetzung begonnen werden, in der auch skeptische Fragen zu KI im Kultur- und Kunstsektor ausreichend zu Gehör kommen. Was ist Kreativität und könnte ein Computer solche auch leisten? Wo liegen ethische Probleme nichtmenschlicher Intelligenz? Wie steht es mit so etwas Grundlegendem wie dem Urheberrecht, Schutzstatus jeglicher geistiger Schöpfung? Um nur einige Punkte anzureißen.

Wem die bereits gut gebuchte Tagung zu vollgepackt erscheint, kann am öffentlichen Themenabend „Kann Künstliche Intelligenz Kultur?“ heute Abend im Hannoverschen Künstlerhaus in die Materie hineinschnuppern. Hier liegt der Schwerpunkt auf Systemkritik. Der Berliner IT-Experte und Hochschullehrer Timo Daum etwa wird aus seinem Sachbuch „Das Kapital sind wir“ deutliche Töne zum digitalen Kapitalismus vortragen.

Denn Internet-Monopolisten sind nicht nur in unserem Alltag allgegenwärtig, unsere (unfreiwillig) überlassenen Daten sind zu essenziellen Rohstoffen einer neuen Ökonomie geworden. Klassische Arbeit wird zunehmend unbedeutend werden, ein Heer von Mikro-Entrepreneuren, befreit von Festanstellungsverträgen und gesetzlichen Regelungen, so Daum, wird in den Prärien des digitalen Wilden Westens sein Glück versuchen und sich mit dem bedingungslosen Grundeinkommen über Wasser halten – dem mit Deregulierung und Vereinzelung bestens kompatiblen „Sozial“-System des digitalen Kapitalismus.

Und auch dem Glücksversprechen selbstfahrender Autos traut Daum nicht über den Weg: Der digitale Kapitalismus fordere lediglich den uralten Fordismus auf dessen ureigenem Terrain heraus, wenn er sein „iconic product“, das Automobil, zur Mobilität als IT-Service umdefiniere.

Schaffen Roboter irgendwann ihre menschlichen Unterdrücker ab? Szene aus dem Film „Ex Machina“ Foto: Universal Pictures

Psychisch kranke Humanoiden

Das kommunale Kino im Künstlerhaus hat eine bis Juni dauernde Programmreihe zur KI aufgelegt, auch mit Klassikern wie „Blade Runner“, „Frankenstein“ und „Metropolis“. Am Themenabend wird sich „Ex Machina“ der schon seit den 1920er-Jahren virulenten Dystopie widmen, dass sich ein Roboter der menschlichen Unterdrückung zu entledigen trachtet, sobald er entsprechendes Bewusstsein erreicht hat. Ein Konzert des Komponisten und Computer-Performers Phillip Schulze steht auf dem Programm und der Kunstverein lädt in seine Ausstellung „Artistic Intelligence“.

Natürlich wird jedem Künstler grundsätzlich Intelligenz unterstellt, so Kurator Sergey Harutoonina, der unter diesem Sprachspiel verschiedene Künstlergenerationen zu elf Positionen vereint hat, die sich ganz unterschiedlich den Möglichkeiten der KI in ihrer Praxis bedienen oder sie reflektieren.

Das Spektrum eröffnet eine konventionell gedruckte Hommage des Briten Matthew Plummer-Fernandez an Edward Snowden, der wohl bekannteste derzeitige Whistleblower. Die Argentinierin Sofia Crespo wiederum spürt in ihren Bewegtbild-Collagen psychischen Krankheiten nach, die konsequenterweise auch künstliche Humanoiden ereilen müssten. Und einen aussichtslosen Kampf gegen seine sich verselbständigende Programmierung ficht der hydraulische Greifarm des Italieners Arcangelo Sassolino: Er bäumt sich wie eine sterbende Tarantel gegen das Schicksal auf. Die Kunst nutzt und thematisiert also bereits digitale Techniken und KI – wenngleich anders, als sich deren Apologeten träumen lassen.

Themenabend „Kann künstliche Intelligenz Kultur?“: 15. 5. ,19 Uhr, Künstlerhaus Hannover,

www.link-niedersachsen.de