heute in hamburg
: „Migrantisch-situiertes Wissen hörbar machen“

Ausstellungseröffnung: „Düşler Ülkesi (Land der Träume)“, 19 Uhr, Kunstverein Hamburg, Eintritt frei

Interview Marinus Reuter

taz: Frau Bilir-Meier, ihre aktuelle Filmarbeit heißt „This makes me want to predict the past“. Wer möchte da welche Vergangenheit vorhersagen?

Cana Bilir-Meier: Zwei junge Frauen, mit kurdischem und türkischem Hintergrund, erkunden das Olympia-Einkaufszentrum in München …

… hier wurden 2016 bei einem rassistischen Attentat neun Menschen mit Migrationshintergrund ermordet.

… im Off-Text hört man Kommentare junger Menschen als Gedicht. Sie berichten von ihren Träumen, Wünschen und Ängsten.

Wie geht es weiter?

Die beiden Frauen besuchen noch das Mahnmal für den Anschlag, vieles bleibt aber ab­strakt.

Weshalb ist Ihnen die Verknüpfung von Rassismuserfahrungen mit Geschichte so wichtig?

Unter den Gastarbeitern der 1970er- und 1980er-Jahre waren sehr intellektuelle Menschen, die mit ihren Ideen und Visionen Projekte auf den Weg gebracht haben. Deshalb ist es wichtig, sich auf die Geschichte zu beziehen: Heute können wir über etwas reden, weil zuvor schon Arbeit geleistet wurde.

Was bleibt dennoch unerzählt und wie greifen sie ein?

Mir geht es nicht darum zu sagen: So war es nicht. Ich möchte etwas hinzufügen. Es ist wichtig, unterschiedliche Geschichten von unserer Vergangenheit ganz selbstverständlich mitzuerzählen. In unserer offiziellen Geschichtsschreibung werden aber die Geschichten derer ausgelassen, die nicht die richtigen Positionen haben: Migranten und Geflüchtete und Menschen ohne Privilegien.

Foto: Ayzit Bostan

Cana Bilir-Meier, 32, ist Filmemacherin und Kunstpädagogin. Ihre Arbeiten handeln von nicht erzählten Geschichten.

Wie machen sie das in Ihrer Ausstellung?

Indem ich sie mit der Stadt verbinde und institutionelle Räume öffne. Diese Geschichten sind in der Stadtgesellschaft entstanden, zum Beispiel die der Schriftstellerin Semra Ertan.

1982 verbrannte sich Ertan öffentlich in Hamburg als Zeichen gegen den vorherrschenden Rassismus.

Davon handelt eine meiner Arbeiten. Ein Rahmenprogramm bezieht anti-rassistische Initiativen aus Hamburg ein, um das migrantisch-situierte Wissen hörbar und laut zu machen. Denn dieses Wissen empowert auch andere Betroffene. Aus diesem Wissen heraus entwickle ich filmische Formen, in denen sich die Geschichten mit anderen Erzählungen wie Musik und Literatur vereinen.