Alle Chancen nutzen

Zum ersten Mal kandidiert Ökolinx bei einer überregionalen Wahl. Jutta Ditfurth will die drohende Mehrheit nationalistischer und rechtsextremer Parteien im Europaparlament aufmischen

Die Ausbeutung beenden: Jutta Ditfurth Foto: Christoph Hardt/Geisler-Fotopress/picture alliance

Aus Frankfurt am Main Christoph Schmidt-Lunau

Eine „Kampfansage gegen Rechts“ nennt die Radikalökologin und Feministin Jutta Ditfurth ihre Kandidatur für das Europaparlament. Fragt man sie nach der Rolle, die sie im Europaparlament übernehmen will, erinnert sie fröhlich an ihren letzten Fernsehauftritt. In Maischbergers Talkshow hatte sie 2017 den CDU-Politiker Wolfgang Bosbach derart auf die Palme gebracht, dass er unter Protest seinen Platz im Studio räumte. Im nächsten Europaparlament drohe eine Mehrheit nationalistischer, rechtsextremer und faschistischer Parteien, rechnet sie vor: „Ich will die aufmischen mit allem, was ich an politischen Techniken drauf habe, auch an Provokation; wäre doch nett, wenn die weglaufen wie der Bosbach.“

Zum ersten Mal kandidiert Ökolinx bei einer überregionalen Wahl. „Wir sind eine außerparlamentarisch orientierte Partei, die in Bewegungen und Bündnissen arbeitet. Wir kandidieren in strategisch ausgesuchten Fällen“, sagt Ditfurth. Sie war Gründungsmitglied und eine der ersten Vorstandssprecherinnen der Grünen. Im erbitterten Streit zwischen den „Realos“ um Joschka Fischer und den „Fundis“ unterlegen, verließ sie 1991 die Partei.

Ökolinx ist in einigen Kommunalparlamenten vertreten, unter anderem im Frankfurter Römer. Jetzt soll es bei der Europawahl gelingen. Die Mittel der Kampagne sind bescheiden. Ein Plakat gibt es nicht. Da ist lediglich der Flyer mit den politischen Positionen und Fotos der 30 KandatInnen aus dem gesamten Bundesgebiet. Neben Ditfurth kandidiert auch Rechtsanwalt Victor Pfaff, Mitbegründer von Pro Asyl. Für ein Ökolinx-Mandat im Europaparlament müssten 160.000 WählerInnen ihr Kreuz bei Liste 34 machen. „Ich bin optimistisch; ich habe das Gefühl, dass ich auf einer Welle getragen werde“, sagt sie und berichtet von ihren Vortragsreisen, oft geprägt von AktivistInnen von Fridays for future.

„Ich mache keine Wahlkampfveranstaltungen, die würden mich langweilen“, sagt die Kandidatin. „Ich biete Vortragsveranstaltungen an. Örtliche UnterstützerInnen laden mich dazu ein.“ Ihre Tour führte sie zunächst nach Jena und Leipzig. „Da kamen jeweils mehr als 200 Leute, vor allem zwischen 20 und 30 Jahren, nur wenige Grauköpfe“, berichtet die 67-Jährige. Zwei Themen bietet sie an. In „Capitalism kills climate“ plädiert sie für ein Ende der Ausbeutung von Mensch und Natur, die schon bei Marx und Engels Thema gewesen sei. „Wie ein Gewitter in der Wolke“, ist das zweite Thema betitelt, ein Zitat von Jean Améry. Da erklärt sie, „wie der linke Antizionismus zum Antisemitismus wurde“. Vor allem junge Erwachsene aus der linken Szene interessierten sich für ihre Thesen. Sie erlebe auch Widerspruch, „doch das sind spannende Diskussionen“.

Den Hype um die Grünen sieht sie in einem stillschweigenden Bündnis der grünen PolitikerInnen und ihrer WählerInnen begründet: „Man lässt sich in beiderseitigem Vorteil in Ruhe und lebt das angenehme Leben.“ Bereits bei ihrem Austritt hatte sie angesichts der Zustimmung zum Nato-Einsatz im früheren Jugoslawien „die vollständige Systemintegration“ der Grünen beklagt.

Ditfurth tritt an für eine solidarische internationale Zusammenarbeit und gegen Ausgrenzung und Abschottung. Die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank habe zwar den Zusammenbruch der Währungsunion verhindert, die Ursachen aber nicht beseitigt: „Die aggressive Exportpolitik des deutschen Kapitals zerstört weiter schwächere Wirtschaften, besonders im Süden und Osten und verschärft die soziale Spaltung in einem Land wie Griechenland sowie zwischen den EU-Staaten. Unsozial ist die Geldpolitik auch deshalb, weil sie kleine Sparer*innen mit den Nullzinsen extrem benachteiligt,“ sagt Ditfurth. Der frühere griechische Finanzminister Yanis Varoufakis ist für sie kein Bündnispartner: „Er kandidiert ja nur als Lockvogel und will sein Mandat nicht annehmen oder schnell wieder abgeben. Das Problem mit Diem25 ist nicht nur die reformistische Orientierung, sondern die enge Verflechtung mit der antisemitischen BDS-Kampagne, die auf die Beseitigung des Staates Israels zielt. Das geht mit uns überhaupt nicht.“

Sie jedenfalls sei kein Lockvogel: „Ich habe vor, die volle Periode die Auseinandersetzung gegen die absehbare rechte und rechtsradikale Mehrheit zu führen und alle Chancen zu nutzen, außerparlamentarische Projekte gegen Nazis und Klimakatastrophe zu unterstützen. Ich freu mich drauf!“

Die Schlagzeilen, die ihr der Clinch mit Talkshowkönig Bosbach einbrachte, hatten ihren Preis. Seitdem habe noch jede Talkshowredaktion, die ihre Teilnahme angefragt habe, die Einladung wieder abgesagt, weil andere Teilnehmer nicht mit ihr hätten diskutieren wollen, erzählt die Ökolinx-Kandidatin. Sie weiß: Ohne Plakate und ohne Glotze wird es eng bei der Auszählung der Stimmen.