Nils Schuhmacher
Hamburger Soundtrack
: Das Paradies: nur ein buntes Lüftchen

Pop flirtet mit dem, was noch nicht besteht. Weil er dabei zugleich mit beiden Füßen lustvoll im Bestehenden verbleibt, sind sein Ziel nicht die Umwälzung und eine bessere Welt am Horizont. Im Wesentlichen lebt er von dem Versprechen, schon hier im Diesseits unterschiedliche Arten von Style, Sex, Drugs und Besonderung zu zelebrieren und Verwirrung stiften zu können. Das Pop-Paradox ist dabei, dass sich dessen emanzipatorischen und ambivalenten Einsprengsel in den helleren historischen Momenten mit echter Revolution verbinden können, das eigene Paradies aber doch nur ein notorisch buntes Lüftchen bleibt – falls man nicht gerade Ton Steine Scherben heißt, natürlich.

Das Paradies (25. 5., Knust) legt eine solche Fährte. Das Einpersonenprojekt aus Leipzig wird dieser Tage vielfach gefeiert. Aber: „Das Schlimmste, was euch passieren kann“ (so eine Liedzeile) ist hier wohl, dass „Goldene Zukunft“ (so der aktuelle Plattentitel) zwar schön, aber unentschlossen zwischen Sehnsucht, Ironie, Innerlichkeit und Zivilisationskritik herumlichtert. Und der Flirt findet so letztlich nur mit den alten Bekannten statt, zum Beispiel Gisbert zu Knyphausen.

Eine ganz andere Art von Nicht-Pop repräsentieren die aus Washington stammenden Priests (30. 5., Hafenklang). Musikalisch zunächst von den ruppigeren Varianten des Postpunk wie etwa Sleater-Kinney geprägt, geht es mittlerweile etwas ruhiger und, ja, poppiger zu. Textlich allerdings hält sich die Band um Sängerin Greer nicht mit unpolitischen Introspektionen und poetischen Allgemeinplätzen auf, sondern malt in wenig dystopischem Sound ein Höllengemälde der heutigen US-amerikanischen Gesellschaft an die Wand; Übertragungen nicht unbedingt ausgeschlossen.

In Pop-Manier gestaltet sich das Verhältnis zwischen Hier und Gleich, Himmel und Verdammnis schließlich bei The Burning Hell (4. 6. Nochtwache). Das kanadische Pseudo-Orchester kokettiert mit großen Melodien und Gesten, lauten Ausbrüchen, Krawall und hingetupfter Zartheit, wundersamer Poesie und hintergründigem Humor auf eine Art, die einen sagen lässt: Wenn so die Hölle klingt, dann schenken wir das Paradies freiwillig her. Abnehmer gibt es ja.