Kolumne Der rote Faden: Lasst euch ein paar Eier wachsen

Relotius, Strache und Kurz: Es war mal wieder Zeit zu Jammern und zu Greinen und angesichts der eigenen Dummheit mit dem Finger auf andere zu zeigen.

Hans-Christian Strache hebt entschuldigend beide Hände

Geh bitte, I hob nur g'redt… Foto: reuters

Ach, es war schon wieder eine Woche des Jammers. Um von hinten anzufangen: Judith Kerr ist tot. Ja, sie war alt, 95 Jahre, und dem heiteren Grundton nach zu schließen, der ihre Interviews durchzieht, waren es – trotz allem, trotz Exils und des Selbstmords beider Eltern – nicht nur schlechte 95 Jahre.

Traurig bin ich trotzdem. Kaum ein Buch, drei sind es eigentlich, hat mich so geprägt wie „Als Hitler das rosa Kaninchen stahl“ und die beiden Folgeromane „Warten bis der Frieden kommt“ und „Eine Art Familientreffen“. Weil sie mir die deutsche Geschichte greifbar und (nach-)fühlbar gemacht haben und ich alles, was ich später, als ich älter wurde, über den Nationalsozialismus, über Flucht, Vertreibung und Vernichtung gelesen habe, mit diesem Mit-Fühlen ergänzen konnte. Ja, musste. Es wurde ein Anker im Angesicht des Unbegreifbaren. Noch heute zitieren Freundinnen und ich das „Rosa Kaninchen“, es ist ein Leuchtturm in unseren eigenen Geschichten.

Umso mehr haben mich die zwar beflissenen und freundlichen, aber irgendwie blutarmen Nachrufe in vielen deutschen Medien befremdet. Es wird meist viel zitiert und nacherzählt, aber eigene Bezüge zu Kerr, gar Berührtheit, habe ich nicht entdeckt. Stattdessen tänzeln die meisten ziemlich hasenfüßig durch ein paar steif formulierte Sätze.

Das ist natürlich kein journalistisches Verbrechen, man findet nicht zu allem denselben Zugang. Vielleicht ist es mir überhaupt nur deshalb aufgefallen, weil man ja immer ein bisschen davon ausgeht, dass alle anderen die eigenen Helden genau so lieben wie man selbst. Genug gejammert, das hätte Judith Kerr nämlich auch nicht getan.

Andere sind hingegen ziemlich gut im Jammern, das hat diese Woche mal wieder gezeigt. Das grellste Greinen kam natürlich aus Österreich, von der FPÖ. Statt sich nach der Doppel-und Dreifach-Schmach – der eigenen Korruptheit überführt werden, durch das Tapsen in eine lächerliche Falle und das auch noch mit denkbar schlechter, weil bierseliger Haltungsnote – für immer murmeltiergleich in eine Alpenhöhle zurückzuziehen, inszeniert man sich hübsch als Opfer. Von wem? Weiß man nicht. Nur ÖVP-Kanzler Kurz tut so, als wüsste er was, zumindest lässt keine Gelegenheit aus, mit dem Finger auf den Lieblingsfeind zu zeigen und so antisemitische Verschwörungstheorien zu verbreiten. Mehrmals hat er betont, dass der israelische PR-Berater Tal Silberstein hinter dem Video stecken könnte. Andere bemühten gleich den Mossad. Jung sein heißt eben auch nicht immer, frisch im Kopf zu sein.

Genauso wie es kein Recht darauf gibt, geliebt zu werden oder reiche Eltern zu haben, gibt’s auch keines darauf, dass die eigene Dummheit unentdeckt bleibt

Denn die Sache ist doch: Mit diesem Opfer-Täter-Denken kommt man – jenseits von straf- und völkerrechtlichen Fragen – im Leben nicht weit. Das nämlich ist oft mordsungerecht. Genauso wie es kein Recht darauf gibt, geliebt zu werden oder reiche Eltern zu haben, gibt’s auch keines darauf, dass die eigene Dummheit unentdeckt bleibt.

Oder auch darauf, zur „größten und renommiertesten Kunstveranstaltung der Welt“ (Banksy auf Instagram), der Biennale von Venedig, eingeladen zu werden. Denn obwohl der Streetart-Künstler, der großen Wert auf seine Anonymität legt, sich seit Jahren in den Metropolen dieser Welt austoben kann und jedes Mäucherchen seine Leinwand ist, scheint er sich ausgeschlossen zu fühlen. Dass vermutlich mehr Menschen seine Arbeit kennen, als überhaupt je von der Biennale gehört haben, scheint ihm nicht zu reichen. Drum hat er jetzt, wie ich dem Tagesspiegel entnahm, ein Video von einer Guerrilla-Kunstaktion in Venedig gepostet. Ein Kunst-Party-Crasher also. Das passt irgendwie in diese Zeit, in der ich oft das Gefühl habe, Kunst schon gut finden zu müssen, damit sich niemand verletzt oder zu kurz gekommen oder ausgeschlossen fühlt. Ganz gleich, wie belanglos und langweilig sie ist.

Für Kunst hielten sie beim Spiegel und darüber hinaus auch die – erstunkenen und erlogenen – Reportagen von Claas Relotius. In dem Fall stimmte es sogar, Kunst sind sie, aber halt kein Journalismus. Am Freitag hat das ehemals ehrwürdige Magazin seinen Abschlussbericht zur Sache veröffentlicht. Radikal sollte aufgeklärt werden, wie Relotius’ Texte ihren Weg ins Heft finden konnten. Aber auch da weht durch die Zeilen leise: Wir wurden reingelegt. Buhu.

Buhu

„Es wurden keine Hinweise darauf gefunden, dass jemand im Haus von den Fälschungen wusste, sie deckte oder gar an ihnen beteiligt war.“ Puh. So ein Glück aber auch. Man habe sich „von Relotius einwickeln lassen“. Was auch nur heißt: Dieser niederträchtige Typ hat uns eine Falle gestellt, was können wir dafür? Leider ist es halt in manchen Situationen und Positionen so, dass es wurscht ist, wie doof andere sind. Man muss selbst einfach schlauer sein.

Ich frage mich nach dieser Woche: Wann lässt sich diese Welt endlich wieder ein paar – genderneutrale – Eier wachsen?

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