Ausstellung „Kiezbeben“ in Hamburg: Wie der FC St. Pauli Kult wurde

Mit „Kiezbeben“ veranstaltet das FC St. Pauli Museum seine bislang aufwendigste Ausstellung. Wann und warum wurde aus dem Kaufmannsclub der etwas andere Verein?

St.-Pauli-Fans tauschen die Kopfbedeckung mit Polizisten in Dortmund.

Unerwartete neue Freundschaften: St.-Pauli-Fans 1991 in Dortmund Foto: Ein Verein, der seine Anhänger auch an unerwarteter Stelle findet: St.-Pauli-Fans mit neu gewonnenen Freunden in Dortmund 1991Foto: Herbert Perl Archiv 1910 e.V./FC St.Pauli

HAMBURG taz | Die Zeit vor dem „Kiezbeben“: Noch in den 80er-Jahren verkürzen Spielmannszüge und Zirkuselefanten den Stadion-Besuchern die Halbzeitpause, leiten ergraute Patriarchen aus der Hamburger Wirtschaft und Politik die Geschicke des FC St. Pauli, dessen Image alles andere als politisch oder bunt ist.

Die Ausstellung „Kiezbeben“ macht nun auf einer Fläche von 600 Quadratmetern im FC St. Pauli Museum sichtbar, wie die gesellschaftlichen Auseinandersetzungen um die besetzten Hafenstraßen-Häuser und die Rote Flora als linkes Kulturzentrum – die beide nur wenige hundert Meter vom Millerntor entfernt geführt wurden – langsam ins Stadion schwappten. Sie schildert, wie das begann und sich fortsetzte, was die Macherinnen der Ausstellung die „zweite Geburt des FC St. Pauli“ nennen. Hafenstraßenblock und Totenkopfflagge wurden zu Symbolen für ein neues Fan-Feeling im von den Medien zum „Freudenhaus der Liga“ hochgejubelten Millerntor.

Auch weil im St.-Pauli-Tor seit 1986 Volker Ippig stand, der nach mehrmonatiger Aufbauarbeit in Nicaragua ebenfalls in den Hafenstraßen-Häusern wohnte, entdeckten ganz neue Fangruppen den Club und enterten die Gegengerade. Ein Altonaer Punk, der sich Doc Mabuse nannte, brachte 1987 plötzlich eine Piratenflagge mit – den ersten Totenkopf am Millerntor.

„Von der beginnenden Politisierung der Fanszene haben wir als Mannschaft gar nicht so viel mitbekommen“, erinnert sich Ex-Trainer Helmut Schulte an die Zeit, in der „viele, die alternativ drauf waren, hier die Möglichkeit sahen, alternativen Fußball zu erleben“. Was das heißt? „Das Erlebnis ist mindestens genauso wichtig wie das Ergebnis“, sagt Schulte: „Fußball kann auch Spaß machen ohne Pokale.“

„Kiezbeben“ im Museum des FC St. Pauli in der Millerntor-Gegengeraden, noch bis 11. August. Mi–Fr 12 bis 20 Uhr, Sa & So 11–19 Uhr. Eintritt: 7 Euro; ermäßigt vier Euro.

Parallel zur Politisierung kam auch der sportliche Erfolg: Aus der Dritten Liga, wo das Team oft vor weniger als tausend Zuschauern spielte, stieg der Stadtteilclub im Mai 1988 in die Bundesliga auf und feierte mit dem zehnten Tabellenplatz den größten sportlichen Erfolg der Vereinsgeschichte.

Originalexponate, wie die alte Stadion-Anzeigentafel, ein Stück nachgebauter Gegengerade und das alte Stadion in Miniatur-Version, 40 Stunden Videomaterial, darunter etliche Interviews mit den Protagonisten des Wandels, beleuchten viele Facetten der Entwicklung dieser Jahre: Das Entstehen einer vereinsinternen Opposition, der Arbeitsgemeinschaft interessierter Mitglieder (AGIM), die Gründung linker Fanzines wie Millerntor-Roar oder Übersteiger, den Kampf gegen ein von Ex-Präsident Heinz Weisener geplantes Multifunktions-Stadion, den „Sport-Dome“.

Für langjährige Fans des FC St. Pauli ist die Ausstellung Nostalgie pur. Jüngeren und weniger mit der Geschichte des Kiez-Clubs vertrauten BesucherInnen bietet sie interessante Einblicke in die Metamorphose des Vereins.

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