Vergnüglicher Widerstand

Wolfgang Ehmke ist seit Jahren ein Gesicht des Kampfes gegen Castor-Transporte im Wendland. Nun hat er einen Roman geschrieben und sich dort selbst verewigt

Von Reimar Paul

Der Lehrer Robert ist heimlich verliebt in die Künstlerin Dorothea. Dorothea hat ein Verhältnis mit dem Künstler Kristoph und Kristoph ist der beste Kumpel von Robert. Diese Dreiecksbeziehung schwappt auf und ab und wird in Wolfgang Ehmkes Erzählband „Der Kastor kommt!“ nicht wirklich aufgelöst. Ist aber auch egal, ist sie doch nur die Staffage für Roberts Beziehung zum Widerstand gegen die Castortransporte ins niedersächsische Wendland.

Ehmke ist Lehrer, Publizist und seit vielen Jahren Sprecher der Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg. Der BI, wie sie landauf, landab in der Anti-Atom-Szene genannt wird. Die Romanfigur Robert ist Ehmkes Alter Ego. Robert pendelt, genauso wie Ehmke es Jahrzehnte gemacht hat, mit seinem abgewrackten Kombi zwischen dem Hamburger Schanzenviertel und Gorleben hin und her. Zwischen Unterricht und BI-Termin, zwischen einem Spiel des FC St. Pauli und der nächsten Demo, zwischen Bioladen und Atommüllzwischenlager.

Ehmke lässt das Geschehen rund um die Castor-Transporte ins Wendland in Roberts Träumen und mit Rückblenden Revue passieren. Es geht um die sogenannte fünften Jahreszeit, wenn im Landkreis Lüchow-Dannenberg alles uniformfarben wird, wenn Bahnübergänge, Brücken und Dorfstraßen von der Staatsmacht rund um die Uhr ausgeleuchtet und überwacht werden. Im Mittelpunkt der Erzählung steht die bislang letzte Atommüll-Fuhre im November 2011.

Robert ist rast- und ruhelos, führt in Lüneburg Gespräche mit anderen Gruppen, rast zum BI-Wohnwagen in Dannenberg, wo die Castor-Informationen zusammenlaufen und Pressemitteilungen gebastelt werden, wo Einheimische Schlafplätze für auswärtige Demonstranten vermitteln und die Volxküche rund um die Uhr vegane Eintöpfe und heißen Tee ausgibt.

Bloß Traumfetzen – oder war es wirklich so? Strohpuppen im Nebel, die Traktoren der Bäuerlichen Notgemeinschaft fahren auf, Betonpyramiden werden auf Straßen abgestellt, angekettete Menschen, Schotterer strömen durch den Göhrde-Wald und räumen das Gleisbett leer, bei Harlingen marschieren die Schienenblockierer auf, immer mehr werden es, sodass die Polizei mit dem Räumen nicht nachkommt und schließlich erst mal aufgibt.

Weil die Polizei die Strecke nicht unter Kontrolle hat, können Robert und seine heimliche Liebe Dorothea gemeinsam mit einigen anderen ihre in einem Depot versteckte Pyramide auf die Schienen wuchten und sich darin kunstvoll aneinanderketten. Auch die Techniktrupps der Einsatzkräfte können das Hindernis nicht beseitigen, ohne den Blockierern die Arme abzureißen. Angestrahlt von Hochleistungsscheinwerfern und umringt von den wenigen Presseleuten, die es bis hierher geschafft haben, liest Dorothea das Angebot vor: Aufgabe der Blockade gegen Aufgabe des Salzstocks Gorleben als Endlager.

Die Proteste bleiben nicht ohne Wirkung. Der „kleine, drahtige Umweltminister“, wie Ehmke es im Roman schreibt – 2011 übt der CDU-Politiker Norbert Röttgen das Amt aus –, „wollte plötzlich einen Dialog“. Ein Untersuchungsausschuss des Bundestages zu Gorleben fördert die Tricks zutage, mit denen der Salzstock im Wendland als Endlagerstandort seit den 1970er-Jahren durchgeboxt werden sollte.

Während Robert also einen Teilerfolg für den Widerstand im Wendland feiern kann, läuft es in Hamburg derweil eher so mittel. Wohl bekommt Robert , wie Ehmke Lehrer, einen besseren Stundenplan, muss nur noch zweimal in der Woche ganz früh raus. Und: Dorothea will Kristoph den Laufpass geben. Aber der FC St. Pauli verliert bei Dynamo Dresden und kann, mal wieder, alle Aufstiegshoffnungen begraben.

Alles in allem liefert Ehmke eine kurzweilige und vergnügliche Lektüre ab. Vergnüglich vor allem wohl für die vielen Tausend Menschen, die damals im Wendland dabei waren, als der Castor kam. Oder die wenigstens gern dabei gewesen wären.

Wolfgang Ehmke: „Der Kastor kommt!“, Druck- und Verlagsgesellschaft Köhring, Lüchow 2019, 132 S., 8,90 Euro