Ausgestorbene Arten und was wir über sie wissen

Ein Pinguin auf der Nordhalbkugel, den vermutlich norddeutsche Seeleute und Ornitologen ausgerottet haben, eine Fliege, die kaum jemand vermisst und ein Ochse, den die Nazis wiederbeleben wollten: Hier eine kleine Besten-Auswahl verschwundener Wesen

Abb. 2: Pinguinus impennis Foto: Fotos (4): Jan Woitas/dpa/Wikimedia Commons/Gemeinfrei

Hydropsyche tobiasi,

Tobias-Köcherfliege (siehe Abb. 1, Seite 41):Schon zu Lebzeiten interessierte sich kein Schwein für die Tobias-Köcherfliege. „Köcherfliegen sind der Allgemeinheit wenig bekannt, weil sie unauffällig sind und weder Schaden noch Nutzen bringen, sie existieren einfach“, schrieb der österreichische Insektenkundler Hans Malicky.

Ausschließlich am Ufer des Mittelrheins wurde das Vorkommen der kleinen (Flügellänge bis 13 mm), braunen Fliege dokumentiert, wo man auch 1938 das letzte Männchen fing. Einen Trost gibt es: Ihre Verwandten, die Köcherfliegen, bilden innerhalb der Neuflügler immerhin die größte Insektenordnung Europas. Juliane Preiss

Pinguinus impennis,

Riesenalk (siehe Abb. 2): In den Naturkundemuseen herrscht kein Mangel an diesen pinguinähnlichen, großen Vögeln, die zu den Alken zählen und mit den Papageientauchern und den Trottellummen verwandt sind – das heißt: Sie waren es, denn sie sind ausgestorben.

Zu Millionen brüteten diese flugunfähigen Vögel einst an den Küsten und auf den menschenleeren Inseln des Nordatlantiks, wo sie von Seeleuten nach und nach erschlagen wurden. Der französische Kapitän Jacques Cartier berichtete über seine Expedition durch die Inselwelt Neufundlands 1534, dass sich dort im Frühjahr auf einer kleinen Insel Tausende brütender Vögel regelrecht auf den Füßen standen. Ein paar kräftige Schläge mit dem Ruder hätten genügt, um eine ganze Schiffsmannschaft mit Fleisch zu versorgen.

„Generationen von Seeleuten folgten Cartiers Beispiel. Manche Besatzungen wollten länger als nur für einen Tag frisches Fleisch bekommen, also nagelten sie die Vögel mit den Füßen auf die Schiffsplanken, sodass sie noch einige Tage qualvoll weiterlebten. Auch bot der Alltag an Bord wenig Abwechslung und erzeugte viele Spannungen – da war eine ‚Jagdpartie‘, ein Massaker unter wehrlosen Vögeln, eine willkommene Abwechslung,“ schreibt Die Zeit.

Abb. 3: Carum verticillatum

Das letzte brütende Paar wurde von drei isländischen Fischern 1844 im Auftrag eines dänischen Naturforschers auf der Felseninsel Eldey getötet, ihre Eingeweide befinden sich heute in einem Formalingefäß im Kopenhagener Naturkundemuseum, die Bälger sind verschwunden. Schon vorher, als die Riesenalke selten wurden, zahlten die Museen immer höhere Preise für einen Balg. Man kann also sagen, dass diese Art von Ornithologen ausgerottet wurde.

Seit es 2003 einigen Embryologen gelang, mit Hilfe einer Hausziege aus einigen Zellen des letzten – ebenfalls erschlagenen – Pyrenäensteinbocks einen Klon für zehn Minuten am Leben zu erhalten, versichern uns jedoch Biologen und Gentechniker, dass sie bald auch den Riesenalk wiederauferstehen lassen können. So wie es im Film „Jurassic Park“ mit den Dinosauriern geschah.

Ökologen halten das für reine Geldverschwendung. Aber Stiftungen wie die „Long Now Foundation“ finanzieren Projekte zur „De-Extinction“ mit Millionen, um Biodiversität und genetische Vielfalt zu bewahren oder wiederherzustellen.

Bis es so weit ist, werden wir über den Riesenalk nur Museumsgeschichten erfahren. 78 Präparate und fast ebenso viele Eier gibt es weltweit. Hamburgs Zoologisches Museum hat seltsamerweise keinen Riesenalk (das nächste Präparat staubt in Kiel vor sich hin), dafür aber einen künstlerisch tätigen Biologen, Jochen Lempert, der wissenschaftshistorisch unterwegs ist: Seit 1990 fotografiert er „The Skins of Alca Impennis“, also die Präparate des Riesenalks in den Naturkundemuseen der Welt, bis heute 45, jedes Mal den Kopf im Profil. Helmut Höge

Carum verticillatum,

Quirl-Kümmel (siehe Abb. 3): Die krautige Pflanze ist um 1920 dem Grünlandumbruch der Landwirtschaft zum Opfer gefallen. Die Art aus der Gattung Kümmel (Carum) innerhalb der Familie der Doldenblütler (Apiaceae) ist wie alle anderen Kümmelarten eine uralte Heil- und Kulturpflanze sowie ein traditionsreiches Gewürz, dass unter anderem gegen Blähungen hilft. Sie kam am Ober- und am Niederrhein vor, die Hoffnung auf ein Wiederauftauchen ist hoffnungslos.Katharina Gebauer

Abb. 4: Bos primigenius

Colias myrmidone,

Orangeroter Heufalter (siehe Abb. 5): Sein Lebensraum wurde erst vor knapp 20 Jahren in Österreich sowie im östlichen und südöstlichen Deutschland von Menschen zerstört. Man kann ihn nicht mehr finden – seine Existenz ist in der ganzen EU extrem bedroht und in Bayern gilt er offiziell als ausgestorben.

Er gehört zu der Familie der Weißlinge (Pieridae) in der Unterfamilie der Gelblinge. Der Falter würde sonst im Mai sowie im Juli und August in zwei Generationen umherflattern und die Welt mit seiner orangegelben Färbung erfreuen. 2012 setzte die EU eine sogenannten „Action Plan“ gegen die rapiden Bestandsrückgänge und für eine mögliche Wideransiedlung trotz Habitatszerstörung ein: für jene Länder, in denen die natürlichen Verbreitungsgrenzen des Falters liegen. Der Orangerote Heufalter darf weder gefangen noch getötet werden. Katharina Gebauer

Bos primigenius,

Abb. 5: Colias myrmidone

Auerochse (siehe Abb. 4): Ob die letzte Auerochsenkuh 1627 südlich von Warschau gewildert wurde oder eines natürlichen Todes starb, bleibt ungeklärt. Bewiesen ist, dass die ersten Versuche, das Urvieh wiederzubeleben die Nationalsozialisten Anfang der 30er-Jahre unternahmen. Gefördert von Herrmann Göring, kreuzten die Brüder Lutz und Heinz Heck allerlei europäische Hausrinderrassen mit mäßigem Erfolg.

Das Heckrind ist zu klein, zu fett, zu dickschädelig und hat wenig mit dem athletischen Auerochsen zu tun, dessen Widerrist bis zu 180 Zentimetern maß. Bis heute wird versucht, den einst größten Landsäuger nachzuzüchten.

Dessen Kopien grasen heute auf den Ilkerbruchwiesen bei Wolfsburg oder in Lorsch. Die dortigen Wissenschaftler sind überzeugt, dass die Auerochsen-Nachfahren einen wichtigen Beitrag zur Artenvielfalt leisten. Dank nährstoffreicher Rinderscheiße hätten sich auf den Weiden bedrohte Käfer und Vögel wieder angesiedelt. Juliane Preiss