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: Parteichef der französischen Konservativen tritt zurück

Laurent Wauquiez zieht die Konsequenz aus dem schlechten Abschneiden seiner Parteibei der Europawahl. Sein Interimsnachfolger Jean Leonetti gilt als deutlich progressiver

Das Neue

Fast zeitgleich zum Rücktritt von SPD-Chefin Andrea Nahles hat in Frankreich der Parteichef der Konservativen, Laurent Wauquiez, die Konsequenzen aus einer schweren Niederlage bei der EU-Wahl gezogen. Mit vor Rührung zitternder Stimme hat der bisherige Vorsitzende von Les Républicains (LR) am Sonntagabend am Fernsehen mitgeteilt: „Ich habe beschlossen, auf Distanz zu gehen und mich von meinen Aufgaben zurückzuziehen.“ Wauquiez hat sich nach einer Bedenkzeit zum Entscheid durchgerungen, den ihm die meisten seiner ParteikollegInnen nahegelegt hatten.

Der Kontext

Die kalte Dusche kam für ihn am 26. Mai in diesem Ausmaß unerwartet. Dem von Wauquiez persönlich ausgewählten LR-Spitzenkandidaten François-Xavier Bellamy und seiner Liste war den Umfragen ein dritter Platz hinter den Rechtspopulisten und der Mehrheit von Präsident Emmanuel Macron mit respektablen 12 bis 15 Prozent der Stimmen vorausgesagt worden. Nach dem Auszählen waren es dann aber bloß 8,5 Prozent und ein vierter Rang hinter den Grünen. Das stellt für die politische Familie, die mit Jacques Chirac und Nicolas Sarkozy unlängst noch an der Macht war, ein historisches Fiasko dar.

Es bestätigt allerdings nur, dass die traditionellen Parteien das Vertrauen der WählerInnen verloren haben. Wauquiez und Bellamy können sich höchstens damit trösten, dass die vom früheren Präsidenten François Hollande unterstützte sozialistische Liste mit dem Essayisten Raphaël Glucksmann auch nur 6,2 Prozent – und die linke „France insoumise“ 6,3 Prozent – erhalten hat.

Für Wauquiez, der für LR einen deutlichen Rechtskurs eingeschlagen hatte, konnte es keine Ausrede sein, dass man ihn intern nicht vor den drohenden Ergebnissen seiner Strategie gewarnt hätte. Der als Nachfolger von Sarkozy 2017 gewählte LR-Chef war von Beginn an umstritten. Populär wurde er nie.

Die Reaktionen

„Endlich!“, seufzen im Nachhinein die LR-Parteibarone in den Fernsehstudios. Unter ihnen nicht wenige, die noch ein paar Tage zuvor zu den eifrigsten Anhängern gezählt worden waren. Zu ihnen gehört Ex-Präsident Sarkozy, der angeblich über die mangelnde Einsicht von Wauquiez sehr wütend war.

Der bereits seit Längerem zu Macron übergelaufene Ex-Parteifreund Thierry Solère appelliert an die Wauquiez-Kritiker, einen Schritt weiter zu gehen und zur Macron-Familie République en marche überzuwechseln, um so bei der Schaffung einer breiten „sozialen, liberalen und ­proeuropäischen Partei“ mitzu­wirken.

Die Konsequenzen

Als unmittelbarer Nachfolger des sehr konservativen Wauquiez wurde ad interim der frühere Partei-Vize und Bürgermeister von Antibes, Jean Leonetti, eingesetzt. Er ist bekannt für seine fortschrittliche Haltung in Gesellschaftsfragen wie Sterbehilfe. Noch in dieser Woche finden mehrere Treffen der Parteiführung zur Beratung über die politischen Weichenstellungen statt.

Rudolf Balmer, Paris