Die Angst vor dem Strom

Um die Elbe wieder in den Griff zu bekommen, werden vier Möglichkeiten geprüft, die Alte Süderelbe wieder für den Strom zu öffnen. In Finkenwerder regt sich dagegen Widerstand

So nicht erwartete Dynamik: Seit der Zuschüttung des Mühlenberger Lochs hat sich rund um die Elbe viel verändert Foto: Kay Nietfeld/dpa

Von Gernot Knödler

Sie ist für Naturschützer seit Jahrzehnten ein Thema: die Wiederöffnung der Alten Süder­elbe in Finkenwerder. Während auf der einen Seite die Hoffnung keimt, dass es doch noch etwas werden könnte mit dem Projekt, formiert sich der Widerstand. „Die Überlegungen haben bei den Betroffenen hohe Wellen geschlagen“, formuliert die Interessengemeinschaft Alte Süderelbe (IAS), in der sich Anrainer und Nutzer organisiert haben. Kürzlich übergab sie Vertretern des Regionalausschusses Finkenwerder 100 Unterschriften gegen die Öffnung.

Die ist eines von fünf Projekten zur Stabilisierung der Elbe, die das Forum Tideelbe jetzt genauer untersuchen lässt. In der ersten Hälfte des kommenden Jahres sollen die Ergebnisse der entsprechenden Machbarkeitsstudien vorliegen. In dem Forum ist ein breites Spektrum von Akteuren vertreten, die mit der Elbe zu tun haben: von einer Vielzahl von Behörden über die Wirtschaft und Landwirtschaft, Sport und Fischerei bis hin zu den Umweltverbänden.

Anlass für die Gründung des Forums war die Erkenntnis, dass sich beim Thema Elbe seit der jüngsten Vertiefung 1999/2000 und seit der Zuschüttung des Mühlenberger Lochs eine so nicht erwartete Dynamik entwickelt hat: Politisch wehrten sich die Anrainerkommunen unterstützt vom Land Niedersachsen gegen die Beeinträchtigung ihres Obstbaus und ihrer Häfen. Hydrologisch zeigte sich, dass der Strom weitaus stärker verschlickt als vorher.

Der Effekt heißt Tidal Pumping und bedeutet, dass der Flutstrom stärker geworden ist. Er bringt mehr Sediment stromaufwärts, als mit der Ebbe weggespült werden kann. Die Folge sind explodierende Kosten bei der Unterhaltungsbaggerei. Zu befürchten ist, dass sich das durch die derzeit laufende erneute Fahrrinnenanpassung verstärkt.

Vier Möglichkeiten für die Öffnung der Alten Süderelbe werden auf ihre Machbarkeit hin untersucht. Sie sollen Überflutungsraum für die Elbe schaffen und damit die Tide dämpfen. Dabei würden periodisch überspülte Süßwasserwattflächen entstehen – ein weltweit seltener Lebensraum, in dem sich besondere Arten tummeln. „Klar ist, dass die Maßnahmen gebraucht werden, um die Elbe ökologisch zu verbessern“, sagt Beatrice Claus, die für die Umweltstiftung WWF am Tideelbeforum teilnimmt.

Auf Machbarkeit wird in der Studie geprüft:

Dove-Elbe: Öffnung der Tatenberger Schleuse

Billwerder Kiesteich: Verbindung mit der Billwerder Bucht

Haseldorfer Marsch: Öffnung zur Elbe durch Rückverlegung des Deichs oder Siel

Nebenelben: bessere Durchströmung

Am vorteilhaftesten erscheint den Beratern von Bioconsult in ihrer aufs Ökologische fokussierten Studie von 2016 eine Öffnung zum Köhlfleet. Das Wasser würde durch ein zu schaffendes 65 Meter breites Bauwerk ein- und ausströmen, das bei deutlicher Überschreitung des mittleren Hochwassers geschlossen werden würde.

Bei einer anderen Variante würde das Wasser bei Flut durch das Köhlfleet ein- und bei Ebbe durch das Mühlenberger Loch ausströmen. Dafür müsste aber eine zweite Öffnung geschaffen werden. Die dritte Variante sieht das Gleiche vor – allerdings bei Beschränkung des Tidenhubs von 3,5 auf zwei Meter. Bei der vierten Variante würde zusätzlich eine Verbindung zur Süder­elbe hergestellt, was der Situation Ende des 19. Jahrhunderts am nächsten käme. Bei allen vier Varianten müsste der Senat regelmäßig in der Alten Süderelbe baggern lassen – an anderen Stellen dafür weniger.

Bei der Vorstellung, in die Alte Süderelbe könnte 50 Jahre nach ihrer Sturmflut-bedingten Absperrung wieder die Elbe ein- und ausschwappen, wird der IAS mulmig. Das bedeute für die außerdeichs gelegenen Grundstücke, dass sie alle zwölf Stunden überflutet würden. „Meterhohe Spundwände“ müssten gebaut werden und die Folgen für Finkenwerders Grabensystem seien ebenso unklar wie für den Naturschutz. Bioconsult kommt zu dem Schluss: Während die Anrainer und Nutzer zu leiden hätten, würde die Natur unterm Strich gewinnen.