Kolumne Blind mit Kind: Spitzname Ordnungsamt

Ohren auf und durch: Ein Regelwerk für den Straßenverkehr braucht jedes Kind. Der Blindheit geschuldet eben auch noch Sonderregeln.

Zwei kleine Kinder sind mit ihrem Fahrrad auf der Straße unterwegs

Obacht! Foto: ap

„Man muss stehen bleiben und gucken!“ erklärt meine Tochter dem verdutzten Verkehrsrowdie, der sich an uns vorbei auf die Straße stürzen will. Nicht umsonst ist ihr geheimer Spitzname „Das Ordnungsamt“. Regeln sind kleinen Kindern wichtig, meiner Tochter vielleicht sogar besonders – und mir in diesem Fall auch.

Ohne Regeln – und mein starkes Vertrauen darauf, dass sie befolgt werden – würde unser Alltag im Straßenverkehr anders aussehen. Dann würde ich mein vierjähriges Kind vielleicht immer noch nicht von meiner Hand gelassen haben oder es gar im Geschirr führen wie das Jugendamt uns seinerzeit für die Phase unkontrollierbarer Kleinkindmobilität vorschlug.

Der Augenblick des ersten Loslassens gehört zu denjenigen, die ich gerne verdrängen möchte. Ruhige Wohnstraße, kein Verkehrslärm, keine besonderen Hindernisse – und doch Kopfkino: Was, wenn ich sie nicht wiederfinde? Wenn sie mir davonflitzt, auf die Straße läuft, ohne dass ich es merke? Nach drei Schrittchen fing ich sie lieber wieder ein. Doch es war mir klar, dass das langfristig keine Lösung sein würde, denn dann würde sie wirklich unter der Behinderung ihrer Eltern leiden müssen.

Also Ohren auf und durch! Unser Regelwerk umfasst Allgemeinposten wie An der Straße stehen bleiben, aber auch der Blindheit geschuldete Sonderregeln: 1. In Hörweite von Mama und Papa bleiben, 2. Auf Nachfrage Rückmeldung über den Aufenthaltsort geben, 3. Positionswechsel ankündigen, 4. Absprachen über Wegmarken einhalten, 5. Bei einmaliger Nichtbefolgung sofort an die Hand.

Regel 5 war für die Lernphase besonders wichtig, denn welches freiheitsliebende Kleinkind möchte schon ständig wieder in den Tragerucksack gesteckt oder an die Hand beordert werden? Auf großen Straßen und vor allem bei deren Überquerung wird Letzteres wohl noch länger Pflicht bleiben, aber in verkehrsberuhigten Nebenstraßen läuft es sich dank „Verkehrsregeln“ jetzt sehr entspannt: Jedes „Wo bist du?“ erzeugt zuverlässig ein „Hier!“ und auch wenn „Ich fahre jetzt los!“ im Eifer des Gefechts mal nicht klappt und Mama weiterquatscht, während die Kleine schon fünf Meter weiter ist – weiß ich immerhin, dass sie an der verabredeten Laterne warten wird. Den Bordstein hat sie – anders als viele ihrer Freunde – noch nie übertreten.

Kann ich meine Hand dafür ins Feuer legen, dass das so bleibt? Das würde ich derzeit vielleicht sogar. Aber natürlich kann niemand allen Eventualitäten vorbeugen – auch sehende Eltern nicht. Aus Angst, dass etwas passieren könnte, nie loszulassen, hätte in jedem Fall Konsequenzen: Ein Kind, das sich nicht altersgerecht entwickeln kann. Immerhin hat das Ordnungsamt jetzt eine heimliche Mitarbeiterin mehr – und ich habe ein Kind, das früh gelernt hat, Absprachen zu treffen und einzuhalten.

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