Mitfühlenstatt nur dabei

Seit 60 Jahren erkunden Corinne und Arthur Cantrill mit experimentellen Filmen die Welt. Jetzt wird ihr Werk im Arsenal gewürdigt

Im Film „Two Women“ von 1980 erkunden Arthur und Corinne Cantrill die mythische Landschaft der Stammesgebiete der „Areyonga Indigenous Community“ Foto: Arthur & Corinne Cantrill

Von Carolin Weidner

Was geschieht, wenn man alle Aufnahmen von sich verknüpft, die sich im Laufe eines Lebens angesammelt haben? Wenn man sie durchsieht, einordnet, sich ihnen zuwendet? Die australische Filmemacherin Corinne Cantrill, Jahrgang 1928, hat sich diese Frage in den frühen achtziger Jahren gestellt.

Damals ist sie krank, ein langjähriges Leiden im weiblichen Fortpflanzungsapparat drängt sie in eine Arbeitspause. Ihr wird eine Operation vorgeschlagen, die sie jedoch instinktiv verweigert. Der Körper, davon ist sie überzeugt, ist in der Lage, sich selbst zu heilen. Das Befassen mit den Zeugnissen der eigenen Repräsentation soll der Schlüssel zu dieser Heilung sein. Und als leidenschaftliche Künstlerin speichert Cantrill den Prozess in einem Film ab.

„In This Life’s Body“ von 1984 ermöglicht vielleicht dabei weniger ein Bestaunen als vielmehr ein Erfühlen dieses Prozesses – vermittelt Bestaunen doch oft einen Eindruck von Distanz. Und obschon einem diese Corinne Cantrill wenig bekannt sein dürfte, wähnt man sich ihr sofort nahe. Allein aufgrund der großen Offenheit, mit der sie hier persönliche Details aus ihrem Alltag preisgibt.

Das schwierige Verhältnis zur Mutter, zum jüdischen Vater, der sich in Australien offenbar nur schwer assimilieren konnte, Reise- und Selbsterkundungsjahre in Europa mit Liebhabern aus London, Paris, Hamburg. Die Geburt des ersten Kindes, schließlich die Bekanntschaft mit Arthur Cantrill, der zehn Jahre jünger ist und mit dem sie beginnt, „einen filmischen Kosmos zu erschaffen, der in seinem vielgestaltigen experimentellen visuellen und tonalen Reichtum seinesgleichen sucht“. So beschreibt das Berliner Kino Arsenal ihr Werk und präsentiert zwischen dem 3. und 30. Juni 2019 diesen ganz eigenen Kosmos. Dieser Kosmos ist besiedelt von kleinen Sternen, die hell strahlen, und größeren Planeten, die ein eigenes System mit Orientierungspunkten bilden.

„In This Life’s Body“ mit seinen 147 Minuten Laufzeit ist eindeutig der zweiten Kategorie zuzuordnen. Ähnlich wie „Harry Hooton“ von 1970, ein Porträt des einst in Sydney ansässigen gleichnamigen Dichters und Theoretikers, das Schriften mit wagemutigen Bild-Ton-Collagen vermengt und anarchische Wortketten formt. Dass Hooton auch in „In This Life’s Body“ vorkommt, als Teil der Künstlerkreise, in die Corinne Cantrill nach ihrem Fortgang aus Europa schwappte, zeigt, wie stark Leben und Schaffen im Werk der Cantrills miteinander verbunden sind.

Am deutlichsten wird das anhand des gemeinsamen Sohnes Ivor Cantrill. Er ist nicht nur in mehreren Filmen zu sehen, sondern wirkte auch tatkräftig an ihrer Entstehung mit. „Rainbow Diary“ (1984), ein verspieltes, frohgemutes Stück, das binnen siebzehn Minuten einige Eimerchen Farbe über einem auskippt, fußt auch auf den Malkünsten Ivor Cantrills.

Zu Gesicht bekommt man ihn dann in „Myself When Fourteen“ (1989), als Jungen, der für wenige Sekunden die Kamera umkreist. Auf der Tonebene ist ein erwachsener Mann zu hören, ebenfalls Ivor Cantrill, welcher fortwährend wiederholt, wie jung er doch als Vierzehnjähriger ausgesehen habe. Beide Filme, „Rainbow Diary“ und „Myself When Fourteen“, sind mit einer Musik von Chris Knowles unterlegt, einem umtriebigen Filmemacher und Freund aus Melbourne, der die kurzen Arbeiten im experimentellen Soundgeist der achtziger Jahre verankert.

Bis in die neunziger und Nullerjahre hinein strecken sich indes die weiteren Filme des Kurzfilmprogramms, die außerdem mit der sogenannten Dreifarbentechnik arbeiten. Sie wiederum rekurriert auf James Clerk Maxwells additiver Theorie der Farbmischung von 1861. Hierbei werden bewegliche Elemente wie Menschen, Wolken, Schatten in künstlich wirkende Primärfarben getaucht, während alles Statische in seiner „natürlichen“ Form erscheint.

Das sorgt für interessante, teils magische, manchmal auch sehr komische Verfremdungseffekte: In „City of Chromatic Dissolution“ (1999) tippeln einige giftgrüne Vögel um ein skulpturales Objekt, während lilafarbene Kinder ein ebensolches betreten. Aus dem Hintergrund ragen die Wolkenkratzer. „The Room of Chromatic Mystery“ (2006) ist auf andere Art psychedelisch. Hier erwacht ein Zimmer zum Leben, mitsamt Pflanzen, Tüchern und einer balinesischen Schattenfigur.

Wie leicht es den Cantrills fällt, scheinbar Unbelebtes durch die Kamera zu beseelen, wird bereits in frühen Arbeiten deutlich. In „Robert Klippel – Junk Sculpture #3“ (1964) entdeckte das Paar im chaotischen, kleinteiligen Gebilde Klippels ausdrucksstarkes Gewimmel.

Nicht unerwähnt bleiben darf auch der Uluru, Australiens gigantischer, rot leuchtender Sandsteinmonolith. Ihm widmeten Corinne und Arthur Cantrill gleich mehrere Filme. Einer von ihnen, „At Uluru“ (1977), ist am 6. Juni zu bestaunen, oder besser: in seiner ganzen mythischen Dimension zu erfühlen.

„Contested Grounds – Filme von Arthur und Corinne Cantrill“: Arsenal Kino, Potsdamer Straße 2, 3. 6. – 30. 6. Weitere Informationen: www.arsenal-berlin.de