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„Sunset“ Foto: MFA+

Der erste Hut, den sie trägt, verhüllt ihr Gesicht. „Liften wir den Schleier“, sagt eine zweite Frau irgendwo aus dem Raum. Der Kopf hebt sich, die ungarische Schauspielerin Juli Jakab wird erkennbar. Wer László Nemes’ Spielfilmdebüt „Son of Saul“ sah, erinnert sich vielleicht an sie. In Nemes’ neuem Film „Sunset“ tritt sie nun wortwörtlich aus dem Schatten und gibt mit durchdringendem Blick die Unternehmerstochter Írisz: Eine rätselhafte, verlorene Seele, die kurz vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs durch die europäische Weltstadt Budapest wandelt. Ein Film wie ein Schleier: „Sunset“ ist trotz seiner genauen Verortung in Zeit und Raum ein traumwandlerisches Angebot. Denn Nemes interessiert sich mehr für die Gegenwart des Wahrnehmens als für die logische Einordnung des Vergangenen. Nachdem sich Nemes mit „Son of Saul“ zur Frage verhielt, ob es eine Kunst nach der Schoah geben kann, erforscht nun „Sunset“ die Idee eines manipulativen Scheins, der jedes Grauen hinter sich zu verbergen vermag. (dv)