Im Andenken an einen Halbkreis

Tonnenschwerer Verlust: Rolf Noldens „Expansion des Quadrats“ war 1994 am neuen Weserwehr entstanden. Seit 2008 ist sie weg

Noldens verschwundene Reaktion aufs Verschwinden des alten Weserwehrs Foto: Senator für Kultur

VonBenno Schirrmeister

Rolf Noldens Halbkreis ist weg, verschwunden und wahrscheinlich vernichtet. So sieht es nämlich aus: Das Boden-Kunstwerk „Die Expansion des Quadrats“ aus fünf edelgerosteten Eisenbögen, das 1994 im Rahmen eines Bildhauersymposiums am Weserwehr enstanden war, scheint 2008 abtransportiert worden zu sein, im Zuge des Kraftwerkbaus. Eigentlich hätte es damals eingelagert werden sollen, heißt es aus dem Kulturressort. „Das ist aber nicht passiert.“ Das Werk ist futsch.

In einem mehrjährigen Zivilrechtsstreit hatte das Landgericht schon 2017 als Vergleich angeregt, dass Bremen dem Künstler aus Münster 30.000 Euro zahlt. Die Stadt hätte damals schon eingeschlagen: Bremen hat einen Ruf zu verteidigen in Sachen Kunst im öffentlichen Raum. „Natürlich werden Künstler bei uns wertgeschätzt“, so ein Sprecher der Kulturbehörde. Selbstverständlich dürfe es nicht passieren, dass eine Installation einfach so verschwindet, „wir hätten das gerne schon früher beigelegt gehabt“. Nolden hatte aber zunächst das Doppelte gefordert und ein Wertgutachten in Auftrag gegeben.

Nur: Das hatte munter Euro und D-Mark-Beträge gemixt und war vom Gericht dann als ziemlich wertlos erkannt worden. Also hat Nolden am Mittwoch eingewilligt, eher zähneknirschend und arg geknickt. Gerade mal die Materialkosten würde das abdecken, hatte er „buten un binnen“ danach gesagt: „Kunstwerke sind wie eigene Kinder“, so Nolden, dessen Objekte vor allem das Problem der Herstellung von Zeitlichkeit mit und auf Flächen bearbeiten. Dieses Jahr wird er 65. Das ist kein nettes Geschenk, das ihm Bremen da bereitet hat.

Gleichwohl: Ästhetisch ist das eine verblüffend gefühlige Aussage von jemandem, der sich selbst stets dem Konstruktivismus zugerechnet hat – oder besser dem neuen Konstruktivismus, der in den 1990er-Jahren durchaus en vogue war.

In dem geht es nicht darum, Welt abzubilden, sondern die Wahrnehmung selbst als schöpferische Tätigkeit zu begreifen – oder zu behaupten. Nicht nur die Schönheit, sondern die ganze Welt entsteht im Auge des Betrachters – wobei das Auge des Betrachters als Teil der Welt zu sehen ist, die es betrachtend konstruiert. Ironie der Geschichte: Ob da ein Werk ist oder nicht, lässt sich konstruktivistisch jedenfalls nicht verbindlich klären. Und ganz sicher nicht durch Geld.

Vielleicht, dass man die Geschichte des Werks selbst wenigstens skizzieren müsste, um ihm seine Würde zurückzugeben. Das Bildhauersymposium, in dessen Rahmen es 1994 entstanden war, war ein Versuch, Protest produktiv zu machen. Initiiert hatte es der Bremer Bildhauer Gunther Gerlach: Gerlach hatte für den Erhalt des historischen Weserwehrs von 1906 gekämpft, eines einzigartigen Industriedenkmals.

„Kunstwerkesind wie eigene Kinder“

Rolf Nolden, konstruktivistischer Bildhauer

Als 1993 nach vierjähriger Bauzeit das neue eingeweiht wurde, hatte er vier KünstlerInnenfreunde eingeladen, um darauf zu reagieren. Konsens sei es gewesen, „dass die Konservierung des Protestes in der Kunst Nostalgie wäre“, hieß es damals in der taz. Nostalgie wollte man nicht. Auf Dauer waren die Arbeiten nur durch ihre wuchtige Materialität gestellt und ihre tonnenschwere: Es gab ein lächerliches Aufbauhonorar, aber nicht einmal einen Leihvertrag mit der Stadt, ebenso wenig wie eine Vereinbarung über den Abtransport der Elemente dieses Skulpturenparks, „der“, noch einmal der Kritiker von damals, „das Weserwehr nicht braucht“.

Diese Beziehungslosigkeit zwischen Werken und ihrer Umgebung kann als charakteristisch gelten für den künstlerischen Ansatz: Der durchbrochene Kreis, den Nolden gelegt hatte, zwingt das Auge, ihn virtuell zu schließen, aber nicht, eine Verbindung zu den Wassermassen nebenan herzustellen. Gegenwärtig betont Kunst gern den räumlichen Kontext, formuliert sich site-spezifisch. Das erschwert die Wertschätzung einer Plastik, die sich selbst genug ist, weil sie sich selbst als Welt behauptet.

Dramatisch ist das für die KünstlerInnen dieser Richtung: Die Objekte, angesichts ihrer Größe ohnehin schwer zu vermarkten, tauchen selten bei Auktionen auf, noch seltener bei den wichtigen Kunstmessen. Die letzte Einzelausstellung von Nolden verzeichnet artfacts.net im Jahr 1997 im Kunstmuseum Ahlen. „Vergegenkunft“ hieß sie. Aber mit der Kunft sieht es düster aus.