Schorsch Kamerun über Theater: „Die Volksbühne ist eine Scholle“

Warum macht er ein Bauhaus-Requiem? Schorsch Kamerun über Punk sowie den frisch berufenen Volksbühnen-Intendanten René Pollesch.

Mann mit vielen Zetteln in der Hand

Regisseur Schorsch Kamerun auf der Probenbühne Foto: David Baltzer

taz am wochenende: Schorsch Kamerun, zwölf Jahre nach „Der kleine Muck ganz unten“ die Rückkehr als Theaterregisseur an die Berliner Volksbühne, wie fühlt sich das an?

Schorsch Kamerun: Erst einmal gut. Ich empfinde eine Verbundenheit der Volksbühne gegenüber, den Leuten, die da arbeiten und der speziellen, eigensinnigen Haltung. Auch wenn es hier natürlich sehr unterschiedliche Farben gibt. Ich habe hier eine Menge erlebt. Abhebende Abende im Prater, ich habe bei Schlingensief-Sachen mitgemacht, zusammen mit Kolleg*innen politische Kongresse organisiert. Durch die Volksbühne habe ich mich für Theater interessiert. Davor war ich genau zweimal in solchen Häusern. Einmal bei Peter Zadek in Hamburg bei „Andi Z“, weil die Einstürzenden Neubauten da mitspielten und ich die kannte. Und einmal war ich in Berlin im „Zerbrochenen Krug“ mit der Schulklasse. Eine traumatische Erinnerung. Mein dritter Theaterbesuch war dann ein eigener Auftritt mit den Goldenen Zitronen in der Volksbühne. Die Volksbühne erlebte ich als einen Raum, der am offensten mit Genres, Diskursen, aber auch mit inneren und äußeren Widersprüchen umging.

Was schien denn das Besondere der Volksbühne?

Es ist eine Sehnsuchtsinsel für die Suche nach einem künstlerischen und politischen Ausdruck für Nicht-Ausrechenbarkeit, Experimentierverlangen und fordert weiterhin konsequent die Wagnisse, mit denen sie sich erfunden hat.

Nächste Woche hat „Das Bauhaus – Ein rettendes Requiem“ hier Premiere. Warum inszeniert Schorsch Kamerun ausgerechnet das Bauhaus, diesen Stein gewordenen Mythos der Moderne?

Es ist eine Auftragsarbeit von „Projekt Bauhaus“, der Architekturzeitschrift Arch+ und der Volksbühne. In der Inszenierung nähern wir uns dem besonderen Urmoment der Moderne an, 1919. Das alte Europa war gescheitert. Alles musste grundneu gedacht werden. Nach der Monarchie und dem Desaster des Ersten Weltkriegs lautete die Kernfrage, wie können wir ein Zusammenleben neu organisieren. Und sehr bildlich gedacht, auch neu gestalten. Im Bauhaus steckt sehr viel drin: von Architektur bis Ausdruckstanz. Die Genres zusammengefasst an einem Ort, an dem sie gemeinsam versuchen, ein notwendiger Neubeginn, als Manifest und Utopie. Im Zuge der Industrialisierung im 19. Jahrhundert kamen ja bereits viele lebensreformerische Konzepte auf. Monte Verita in Ascona. Oder sich die Welt als Musik vorzustellen. Feine Gedanken. Was mich jetzt weniger interessiert, ist die beweisführende Geschichtsschreibung. Oder welcher Stuhl am längsten durchhält. Plus all die ganzen rivalisierenden Strömungen. Ich gehe auf den Ausgangspunkt. Der Nullmoment 1919 war wie ein neu ausgeschriebener Bauauftrag zur noch zu erfindenden, progressiven Kulturpolitik. So ähnlich wie bei der Räterepublik, als einmalig Künstler, Schriftsteller, Autorinnen real verantwortungsführende Politik gestalteten. Das ist der superinteressante Augenblick des Bauhauses.

Und wie bezieht man dies auf einen Theaterraum?

„Und wir haben kapiert, dass die kritischste Kunst am schnellsten im Museum landet“

Auch an einer Volksbühne kann das Laborhafte, das Schaffen und Vorführen aus einem Kollektiv heraus im Vordergrund stehen. Das experimentell Ungeregelte und die herbeigeführte Abstraktion. Wir versuchen, fragmentarisch und mit sehr unterschiedlichen Gruppen und Genres ein gemeinsames Grundfragen-Versuchsfeld durchzuspielen.

Und die Bauhaus-Moderne dabei durch Plastik-Zelte zu ersetzen, wie ich das vorhin im Bühnenbild von Katja Eichbaum gesehen habe?

Wir spielen mit Architekturfragen, mit Materialzuschreibungen und allen möglichen Codes, die lebendig oder erledigt sind. Wir wollen eine fragewürdige Trance herstellen, um in eine möglichst offene Zukunft zu schauen. Für mich als Hamburger ist dabei der Spielort Volksbühne ebenso eine Scholle wie unser Golden Pudel Club. Es sind Fantasieplätze des Unkalkulierbaren. Und als einen solchen sehe ich auch das frühe Bauhaus.

Wie stark sind der frühere Punk und die Goldenen Zitronen als Prinzip bei der heutigen Theaterarbeit präsent?

Das läuft parallel bei den Bandmitgliedern. Nachdem wir als Gruppe recht früh mit der immer gleichen Erwartungshaltung konfrontiert wurden, haben wir Techniken entwickelt, dem auszuweichen. Und wir haben kapiert, dass die kritischste Kunst am schnellsten im Museum landet.

Bezieht sich das jetzt auf die Volksbühne?

Nicht unbedingt. Wir haben viel großartiges Personal am Start, arbeiten mit assoziativen Überschreibungen. Die Zuschauer werden sich in unserer Konzertinstallation frei durchs Haus gehend begegnen.

Und Kopfhörer bekommen, warum?

Du gehst durch ein Live-Filmset, in dem eine psychedelische, nichtgeistliche Messe stattfindet und versucht, die genannten Grundfragen durchzuspielen. Darunter eine erdenferne Opernsängerin, ein optimierender Markenbeschleuniger, jemand testet A. S. M. R., Anne Tismer erzählt ein eigenes, zukünftiges Institut, auch die Zeitschrift Arch+ tagt in einer Expertenrunde. Das ganze Theater wird mit seinen Skills, den professionellen und den extra fragilen Kräften neu gemischt, Das ist schon auch wie beim Pudel-Prinzip. Als wir in Hamburg begannen, zu stabil geratene Dinge anders zusammenzuwerfen, teils umzukehren. Etwa Techno mit Country zu mixen und dazu hat noch jemand eine fiese Forderung vorgetragen.

An der Inszenierung ist auch eine Klasse der Universität der Künste, das Jugendtheater P14 der Volksbühne sowie die Etage, eine Tanzgruppe, beteiligt. Was bringen sie ein?

Ihre jeweiligen Möglichkeiten. Wir spielen das Publikum dabei nicht an, es ist eine an einem besonderen Ort anzuschauende Überschneidung unterschiedlicher Strategien.

Happening, Event, Revue – was trifft es am ehesten?

Widersprüchliches Spektakel, würde ich sagen. Es ist auch immer der Situationismus, der mich interessiert.

Aber Guy Debord hat den Begriff der „Gesellschaft des Spektakels“ doch eindeutig negaitv besetzt?

Er hat die Ambivalenzen darin als Erstes verstanden. Die Situationisten haben Gleichzeitigkeiten vorausgesehen, wussten, dass sie Programm und Marke werden würden. Oder anders gesagt: Dass die Festlegung schon gleich der eigene Tod ist. Wie auch Malcolm McLaren, der als überzeugter Situationist eine Punk-Band animiert (die Sex Pistols) und diese zum ausführbaren Nihilismus bringt. Also, wir sind hart verarscht worden als Punker. Punk war somit auch ein gelungenes Lehrstück, eine situationistische Inszenierung, funktionierte aber immerhin als Konventionen aufreißende Irritation. Wir hatten dann trotzdem schnell keine Lust mehr, die Erwartungen des „Cash from Chaos“- Prinzips zu erfüllen. Seit jetzt 40 Jahren trete ich auf und mache mein Zeugs. Anfangs als reiner Dilettant, inzwischen längst als, weiterhin zweifelnder, Profiausprobierer. Eine reine Feier des Bauhauses kann ich von daher jetzt auch auf keinen Fall hinnehmen.

Zur Person

Geb. 1963 in Timmendorfer Strand. Gründungsmitglied und Sänger der Band „Die Goldenen Zitronen“. Zusammen mit Rocko Schamoni gründete er den „Golden Pudel Club“ in Hamburg. Seit 2000 ist er als Theaterregisseur und -autor tätig, u. a. fürs Schauspielhaus Hamburg, Düsseldorf und Zürich, Münchner Kammerspiele, Wiener Festwochen, Bayerische Staatsoper oder Ruhrtriennale. Hörspielpreis der Kriegsblinden für „Ein Menschenbild, das in seiner Summe null ergibt“ (2007). Gastprofessur an der Akademie der Bildenden Künste in München. Ist mit verschiedenen Projekten in Europa, Amerika, Namibia, Japan und Jamaika unterwegs.

Zur Inszenierung

„Das Bauhaus – Ein rettendes Requiem“ hat als begehbarer Film am 20. 6. 2019 in der Berliner Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz Premiere. Danach spielt die Band „Alte Sau“. Im Anschluss an die Aufführung vom 22. 6. tritt „Der Plan“ auf.

https://www.volksbuehne.berlin/de/

Also nicht einfach im Freischwinger Platz nehmen?

Natürlich nicht. Beim Bauhaus wurde da definitiv der Sack zugemacht. Und weil das Bauhaus vergessen hat, seinen Namen rechtlich ordentlich zu betreuen, gibt es heute eben auch eine Baumarktkette, die sich Bauhaus nennt.

Das Theater verändert sich laufend. Viele RegisseurInnen arbeiten nun genreübergreifend, oder auch mit externen Personal und Laien. Wie nimmt das ein Schorsch Kamerun wahr?

Als Chance. Die Theater sind gut ausgestattet, so etwas gibt es sonst nur im Filmstudio. Sie sind den Städten als offene Kunsträume geschenkt, wenn sie sich denn als solche begreifen. Das hat die Volksbühne immer klar verstanden und ist teils extra offensiver als andere damit umgegangen.

Ab der Spielzeit 21/22 wird nun René Pollesch das Haus leiten …

Ich finde René hat eine Spielweise, wie er es nennt, die sich stark eignet, auf ein partizipatives Theater übertragen zu werden. Die gerechte Schwierigkeit ist es, einen solch offenen Weg im Alltag nicht zum starren Prinzip werden zu lassen.

Eine Selbstmusealisierung, das muss aber nicht sein?

Das ist der Punkt. Es muss nicht sein. Ich würde nie sagen, dass kluge Ansätze sich immer auch selbst auslöschen am Ende, was der Situationist ja behauptet. Der sagt: Sobald du behauptest, du bist Punk, hast du dich beerdigt. In der Kunst ist es der Tod der Freiheit, wenn du auf etwas Freiheit draufschreibst. Trotzdem gibt es Strategien, die Festlegungen zum Wackeln bringen können, den Dadaismus, Scheitern als Möglichkeit, Künstlergruppe CoBrA, Träume, Sun Ra, das Abheben, Räusche, die Welt verlassen. Die Erzählungen in der Volksbühne haben schon oft den Widerspruch oder die Reflektion über sich selbst beinhaltet. Wichtig ist aber auch: Theater gehören niemandem.

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