Die Angst des Südens vor dem Osten

Der Osten links, der Norden grün, der Süden schwarz – Politik funktioniert nicht mehr nach so einfachen Mustern

BERLIN taz ■ „Sag mir, wo du stehst“, forderte ein Stück aus dem realsozialistischen Liedgut. In der Demokratie ist diese Frage unnötig, Wahlen zeigen, wo die Menschen stehen. Im Moment, so scheint es, stehen sie sich mal wieder gegenüber, die Menschen in Ost und West. Zumindest, wenn man sich auf diese Sichtweise beschränken will.

Bei jeder Wahl seit der Wende schauen die zu Wählenden ängstlich Richtung Osten und fragen sich, was aus dem unbekannten Landstrich wohl dieses Mal über sie kommt. Dieses Mal kommt die Linkspartei, die derzeit in den fünf neueren Teilen der Republik von 32 Prozent der Menschen Zustimmung erhält. Der CSU-Chef und bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber war darob so entsetzt, dass er ziemlich frustriert von den „Frustrierten“ sprach, die über Deutschlands Schicksal bestimmen würden.

Hübscher Gedanke eigentlich, dass die Ossis den Westen rot unterwandern und so die Union verhindern. Doch laut dem Wahlforschungsinstitut Infratest-Dimap verliert vor allem die SPD ihre Wähler an das Linksbündnis. Daneben mobilisiert die Truppe um Oskar Lafontaine und Gregor Gysi viele Nichtwähler, was den großen Parteien schon lange nicht mehr gelingt. Sympathisanten der CDU dagegen wechseln kaum auf die rote Seite. Andererseits haben die Wähler im Osten natürlich einen Einfluss auf das Gesamtergebnis, schließlich stellten sie beim letzten Mal 18,15 Prozent der Stimmen und damit fast ein Fünftel. Doch allzu riesig ist dieser Einfluss auch nicht und ihnen den Ossis vorzuwerfen, zeugt von einem eher seltsamen Demokratieverständnis.

In dem Frust über die Ossis und ihr Wahlverhalten zeigt sich letztlich nur die Erwartung, dass man in einem Land lebe und daher auch gleich denken, handeln und fühlen müsse. Das jedoch ist vielleicht etwas zu einfach. Schließlich existiert das Drei-Parteien-System nicht mehr, das bis in die Achtzigerjahre den Bundestag dominierte. So wie einst die Grünen Ausdruck einer Lebenshaltung waren und das System neu ordneten, tut dies nun die Linkspartei. Und die politische Landschaft in Bayern beispielsweise sieht anders aus als die in Hamburg. Neben Nord-Süd-Unterschieden gibt es natürlich auch welche zwischen Ost und West. Im Westen bestimmen vier Fraktionen die Politik, im Osten nur drei: Union, SPD und Linkspartei. Und das sicher nicht ohne Grund. Außerdem: Mehr als die Hälfte der Bayern wählt nicht CSU und mehr als zwei Drittel der Ossis nicht Linkspartei. Ziemlich kompliziert, das Ganze.

Solche Unterschiede zeigen aber nur, dass die Menschen von ihrem Wahlrecht tatsächlich Gebrauch machen. Beruhigend irgendwie. KAI BIERMANN