Jute und Plastik

NACHHALTIGKEIT Designhochschulen in Deutschland waren einmal Vorreiter in nachhaltigem Entwerfen. Dann geriet Ökodesign unter Müsli-Verdacht und fast in Vergessenheit. Nun erfährt das Thema eine Renaissance

„Die Chancen für nachhaltiges Design sind heute größer als jemals zuvor“

VON HEIKE HOLDINGHAUSEN

Kugelförmig angeordnet, bilden leuchtende Windrädchen eine Straßenlaterne. Sie spendet Licht, je windiger, desto heller. Oder eine porzellanweiße Schale aus elegant zerbeulten und aneinander geleimten Plastikbechern – zwei Projekte von Studenten des Fachbereichs Sustainable Design der Design Academy Eindhoven. Entworfen werden hier Dinge, die nicht nur nützlich und schön, sondern auch nachhaltig sind.

Schon beim Entwurf werde ihr gesamter Lebenszyklus bedacht, sagt Ursula Tischner, Professorin an der Design Academy. Das bedeutet, dass Material-, Wasser- und Flächeneinsatz oder Abfälle und Arbeitsbedingungen bei der Herstellung und Entsorgung genauso mit berücksichtigt werden wie der Einfluss des Produktes auf das Nutzerverhalten während seines Gebrauchs.

Ökologisches Design erfahre derzeit eine neue Aufmerksamkeit, sagt Tischner, die das Thema schon während ihres Studiums Ende der 80er-Jahre umgetrieben hat. Die beiden großen Krisen der Zeit – die Finanz- und die Klimakrise – könnten „auch durch die nachhaltige Gestaltung von Produkten, Dienstleistungen, Infrastrukturen und Lebensstilen“ überwunden werden, sagt Tischner.

Zwar gibt es in Deutschland erst eine einzige Professur für ökologisches Design, an der Kölner Designhochschule KISD – doch die anderen Hochschulen holen langsam auf. „Das Thema ökologisches Design durchdringt immer mehr unseren Studiengang“, sagt Anke Bernotat von der Folkwang-Hochschule für Gestaltung in Essen. Auch Hochschulen in Berlin, Halle, Kassel und Offenbach verfolgten eine nachhaltige Vorstellung vom Entwerfen, sagt Ökodesign-Vordenkerin Tischner. Unter anderem zusammen mit dem Wuppertal Institut für Klima, Energie und Umwelt und der Hochschule Luzern veranstaltet die Folkwang-Hochschule Ende September die erste Summerschool für nachhaltiges Gestalten, „Design Walks – Value through less“ im Nikolauskloster Jüchen in Nordrhein-Westfalen.

Ansonsten ökologischer Umtriebe wenig verdächtige Unternehmen wie die Bayer-Tochter BayerMaterialScience und Airbus schreiben an Hochschulen Preise für nachhaltiges Verpackungs- und Transportdesign aus, und in Amsterdam treffen sich angehende Modedesigner zu Workshops in „Green Fashion“. Die müsse, sagt Mitorganisatorin Tischner, nicht nur umweltfreundlich, sondern auch „cool“ sein. Ein erhobener Zeigefinger und Jute-statt-Plastik-Strategien eigneten sich nicht, um breite Zielgruppen anzusprechen. In ihrem Workshop, den sie mit Studenten durchführt, gehe es darum, „eine zielgruppengerechte Ästhetik mit Nachhaltigkeit zu verbinden.“

So eine Veranstaltung sei ein „guter Einstieg für die Studenten, um sich das Thema bewusst zu machen“, sagt Nina Gellersen, die auf der Summerschool in Jüchen ein Projekt betreuen wird. Denn das Vorwissen der Studenten sei oft gering und gehe über Alltagskenntnisse über Mülltrennen oder den Klimawandel nicht hinaus. Gellersen lehrt Produktdesign an der Hochschule für Design und Kunst in Luzern und stößt mit ihrem Themenschwerpunkt Nachhaltigkeit vor allem bei älteren Studenten auf Interesse, die ein Masterprogramm absolvieren. „Die jungen Bachelor-Studenten wollen erst mal ein tolles Design entwerfen“, sagt sie, „später hinterfragen sie dann eher ihr Tun und ihre gesellschaftliche Verantwortung“, so Gellersen, die selbstkritisch anmerkt, die Designer seien schließlich nicht ganz unschuldig daran, „dass es so viel Zeugs gibt“. Gerade in den Niedriglohnländern wie zum Beispiel China würden kurzlebige und billige Produkte nicht nur hergestellt, sondern zunehmend auch selbst entworfen. „Da müssen wir uns in Europa schon überlegen, wie wir uns positionieren.“

Manuel Dreesmann, Student an der Bremer Hochschule für Künste, zum Beispiel hat beim oben erwähnten Design-Wettbewerb Vision Works den ersten Preis gewonnen. Seine Idee: Um Verpackung und Transport einzusparen, werden etwa Erdbeeren in Blumenkästen angebaut, die an Stahlseilen zwischen doppeltverglasten Fenstern an Hochhausfassaden hoch- und herunterfahren. Ein Paternoster mit leckerem Inhalt. Nicht nur das kniffelige Verfahren von Düngung, Wässerung und Ernte der Fassadenfrüchte hat Dreesmann erdacht, sondern auch Blumenkästen und Aufzug. Genau wie in Essen wird auch in Luzern angestrebt, Nachhaltigkeit durch alle Lehrveranstaltungen zu ziehen und nicht in eigene Seminare zu verlagern.

Über den Erfolg dieser Bemühungen machen sich die Hochschullehrerinnen allerdings wenig Illusionen. „Fast jede Designakademie führt auf ihrer Website den Begriff Nachhaltigkeit auf“, sagt Gellersen. Doch inwieweit das im Curriculum dann wirklich implementiert ist, sei eine andere Frage. Noch sei die Relevanz von ökologischem Design nicht bei allen Dozenten angekommen. „Da geht es oft noch um Emotionen und Lifestyle.“ In Luzern bemüht man sich hingegen, jedes Produktgestaltungs-Projekt auf seine Umweltfreundlichkeit abzuklopfen.

Gellersens Kollegin Tischner bescheinigt Deutschland, „sich zu sehr auf seinem noch guten Image in Umwelttechnologien“ auszuruhen. „Es muss aufpassen, dass es nicht von den asiatischen Ländern und den USA überholt wird“, sagt sie. „Die deutsche Designszene ist noch immer erschreckend ignorant in dem Bereich.“ Auf dem Arbeitsmarkt schaden sie ihren Absolventen damit bislang offenbar nicht. Zwar sei es immer gut, effizient mit Materialien und Energie umgehen zu können. „Ich habe aber noch nicht gehört, dass Arbeitgeber konkret nach Kompetenzen im Bereich Nachhaltigkeit fragen“, sagt Bernotat.

Ursula Tischner hingegen verbucht in ihrem eigenen Kölner Designbüro Econcept immer mehr Nachfragen von Designbüros, die Weiterbildungen für ökologisches Design für ihre Mitarbeiter buchen möchten. Zurzeit wirkten politische Aktivitäten wie der „New Green Deal“ zusammen mit ökologisch denkenden Konsumenten, die immer stärker entsprechende Produkte forderten. „Die Chancen für nachhaltiges Design sind heute größer als jemals zuvor“, sagt Tischner.