Versenken, ohne unterzugehen

BANKEN Das Finanzsystem muss grundlegend reformiert werden, sagen zahlreiche Experten. Doch strengere Regeln und die Einführung sicherer Anlageprodukte werden nicht reichen. Denn ein Grundproblem wurde noch nicht angegangen: Wir haben viel zu viele Banken

Einiges spricht dafür, dass in den nächsten Monaten das Zähneklappern unter den Bankern weitergeht

VON TARIK AHMIA

In den Augen von maßgeblichen Topmanagern der Finanzindustrie ist der Absturz des globalen Bankensystems schon wieder Geschichte. „Das Schlimmste ist überstanden“, sagte Lloyd Blankfein, mächtiger Chef der US-Bankenholding Goldman-Sachs, auf einem Kongress in der vergangenen Woche. Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann sieht nun „Licht am Ende des Tunnels“ – nachdem die Finanzindustrie durch staatliche Rettungsaktionen vor dem Ruin gerettet wurde.

Während des Finanzcrashs hörte sich das noch anders an. „Ich glaube nicht mehr an die Selbstheilungskräfte des Marktes“, bekannte Ackermann damals und stellte fest. „Banken allein können die Situation nicht mehr retten.“ Der Staat musste das Finanzsystem aus seiner Vertrauenskrise befreien. In weltweit koordinierten Aktionen mobilisierten Zentralbanken auf der ganzen Welt etwa 4.000 Milliarden US-Dollar frisches Kapital, um die globalen Finanzmärkte am Leben zu erhalten. 500 Milliarden Euro Steuergelder wurden allein in Deutschland bereitgestellt, um einen staatlichen Schutzschirm für deutsche Banken aufzuspannen.

Vollkasko-Mentalität

Die staatliche Flutung der Kapitalmärkte zeigte Wirkung. Die Banken fassten wieder Vertrauen, und seit Mitte 2009 deuten immer mehr Konjunkturindikatoren darauf hin, dass die Weltwirtschaft wieder anspringt. Doch nach der Rettung machen Banken und Investoren heute weiter wie zuvor, sie verdienen prächtig und zahlen maßlose Boni. Es herrscht Goldgräberstimmung mit Vollkasko-Mentalität: Die fünf größten Banken an der Wall Street wollen ihre Angestellten in diesem Jahr mit Rekord-Boni über 38 Milliarden US-Dollar belohnen, hat die Wirtschaftsagentur Bloomberg ausgerechnet. Globalplayer wie die Deutsche Bank, Goldman Sachs und JP Morgan erzielten im zweiten Quartal wieder Milliardengewinne. Ihre Erträge speisen sich vor allem aus den Verschuldungsprogrammen der öffentlichen Haushalte, die für die Rettung auch dieser Banken aufgelegt wurden. Als hätte es nie eine Finanzkrise gegeben, setzen die Banken die gleichen riskanten Spekulationen fort, die die Welt an den Abgrund gebracht haben.

In Europa trägt sogar die Europäische Zentralbank (EZB) dazu bei, die kreditfinanzierten, spekulativen Geschäfte der Geschäftsbanken am Leben zu erhalten. Ende Juni lieh die EZB ihnen 442 Milliarden Euro frisches Geld und akzeptierte dafür auch dubiose Schrottpapiere als Sicherheit, die die Banken auf anderen Wegen nicht loswerden. Toxischer Kreditschrott gehört nun zum Kernbestand der EZB-Sicherheiten. Das Geld der Zentralbank landet zu einem guten Teil im globalen Finanzkasino.

Von systematischen Korrekturen ihrer Geschäftspolitik und mehr staatlicher Regulierung wollen viele Banken nichts mehr wissen – selbst wenn ihre Institute bis heute am staatlichen Finanztropf hängen. „Keiner hat bisher wirklich die Konsequenzen aus der Krise gezogen“, bedauert der ehemalige Chefvolkswirt der Hypovereinsbank Martin Hüfner im Gespräch mit der taz. „Die Vorschläge der US-Regierung zur Reform der Finanzaufsicht begnügen sich damit, die Liegestühle auf der ‚Titanic‘ umzustellen“, kritisiert auch der renommierte US-Ökonom Barry Eichengreen von der University of California. Gerade in den USA und Großbritannien sei das Interesse groß, die eigenen Finanzplätze zu schützen. „Die mächtigen Interessengruppen der Finanzindustrie setzen sich gegen eine erheblich straffere Regulierung zur Wehr.“

Nicht aussitzen

Langfristig lasse sich die Krise jedoch nicht aussitzen, davon ist Wilhelm Hankel, emeritierter Ökonom der Universität Frankfurt, überzeugt. „Das westliche Krisenmanagement unterliegt einer Illusion, wenn es glaubt, die Folgen der Krise ohne Beseitigung ihrer Ursachen wegzaubern zu können“, sagt Hankel, der in den 60er-Jahren Wegbegleiter von Wirtschaftsminister Karl Schiller war. „Eines der größten Probleme ist, dass die Banken noch immer zu wenig Eigenkapital haben“, sagte Richard Stehle, Banken-Professor an der Humboldt-Universität Berlin, der taz. Beispiel Deutsche Bank: „Ihre Eigenkapitalquote beträgt etwa 10 Prozent, wenn man sie nach den internationalen Vorschriften des Basel-II-Abkommens berechnet“, sagt Stehle. Gemessen an ihrer Bilanzsumme verfüge die Bank jedoch nur über 1,7 Prozent Eigenkapital. „Die Banken sollten auf europäischer Ebene verpflichtet werden, jedes Jahr ihr Eigenkapital um einen halben Prozentpunkt zu erhöhen“, sagt Stehle. Erstrebenswert sei eine Eigenkapitalquote von 20 bis 25 Prozent.

„Die Banken haben in der Vergangenheit mit geliehenem Geld sehr große Kredithebel konstruiert, um ihre Renditen auf riskante Weise zu erhöhen“, sagt Bankexperte Martin Hüfner. Nicht selten übersteige dabei das eingesetzte Fremdkapital das investierte Eigenkapital um das 30- bis 50-fache. „Die Banken müssen dieses Missverhältnis verringern und nachhaltige Geschäftsmodelle entwickeln, in deren Mittelpunkt der Kunde und nicht die Spekulation steht“, sagt Hüfner.

Doch auch dann bleibe das Problem, dass es zu viele Banken gebe, findet Hüfner. „Um zu gesunden, muss der Bankensektor auf Dauer relativ zur Realwirtschaft schrumpfen“, fordert der Ökonom. Wie das praktisch funktionieren soll, ist allerdings eine delikate Frage. Gesucht wird nach einem Weg, wie auch große Banken aus dem Markt ausscheiden können, ohne die Stabilität des gesamten Finanzsystems zu gefährden. Gerade die Bundesregierung hat sich mit ihrer pauschalen Überlebensgarantie für alle Geldinstitute in eine Sackgasse manövriert. Doch auch hier findet offenbar ein Umdenken statt. Vor zehn Tagen schickte Kanzlerin Angela Merkel zusammen mit Frankreichs Präsidenten Nicolas Sarkozy und dem britischen Premier Gordon Brown einen Brief an die Regierungschefs der EU. Darin forderten sie Regelungen dafür, „wie solche Banken abgewickelt werden können, ohne das Finanzsystem zu erschüttern“.

Die Pläne für eine kontrollierte Insolvenz von Großbanken sind in der Schweiz und in den USA schon weiter fortgeschritten. Die Schweizer Notenbank (SNB) hält gesetzliche Regelungen für sinnvoll, um auch systemrelevante Banken geordnet liquidieren zu können. In den USA haben Demokraten und Republikaner im Senat eine Gesetzesinitiative auf den Weg gebracht, die den staatlichen Einlagensicherungsfonds autorisiert, falls nötig auch große Bankholdings wie die Citigroup abzuwickeln. Dort sind in diesem Jahr bereits 91 kleinere und mittelgroße Banken zusammengebrochen. Mittelfristig soll in den USA eine eigenständige „Resolution Authority“ entstehen, die auch Konzerne abwickeln soll, deren Kollaps das gesamte Finanzsystem gefährden könnte.

Einiges spricht dafür, dass auch in den nächsten Monaten das Zähneklappern unter den Bankern weitergeht. „Ich warne davor, das Ende der Krise zu früh auszurufen“, erklärte Bundesbankpräsident Axel Weber letzte Woche. „Deutschland und Europa sind noch weit von einem selbsttragenden Aufschwung entfernt“, sagte Weber. Die jetzige Konjunkturerholung werde laut Weber getragen von den Konjunkturpaketen, den Bankenrettungsprogrammen und der expansiven Geldpolitik. Auch der Bankenverband mahnt, dass die aktuelle wirtschaftliche Erholung vor allem darauf beruhe, dass die Unternehmen ihre Lagerbestände wieder auffüllten. Überkapazitäten und weiter steigende Arbeitslosigkeit würden der deutschen Wirtschaft in den kommenden Monaten jedoch stark zu schaffen machen.

Wie ein Bumerang

Schon bald könnte der Einbruch der Realwirtschaft wie ein Bumerang auf die Banken zurückkommen. Das deutet die Zahl der Firmenpleiten an, die nach Angaben des Statistischen Bundesamtes im ersten Halbjahr um 14,8 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum zugelegt haben. Wegen der rasch steigenden Firmeninsolvenzen erwartet die Rating Agentur Moody’s allein in den USA weitere Abschreibungen im Wert von etwa 470 Milliarden Dollar. „In Europa dürften die Zahlen fast doppelt so groß sein, denn das Kreditgeschäft spielt hier eine viel größere Rolle“, sagt Hüfner. Spätestens dann könnte eine Kreditklemme bittere Realität werden.

Auch bei den Landesbanken kracht es nach wie vor gewaltig. Trotz aller Rettungsmaßnahmen verfügt heute keine Landesbank mehr über die vorgeschriebene Eigenkapitalquote von 8 Prozent. Jochen Sanio, Chef der deutschen Bankenaufsicht, warnt, dass sich hier dramatische Entwicklungen abzeichnen. Dennoch ist völlig unklar, ob und wie sich die Landesbanken ihrer auf 430 Milliarden Euro geschätzten unverkäuflichen Schrottpapiere entledigen können, ohne daran nachhaltig Schaden zu nehmen.

Doch allein mit neuen Behörden und Regeln lassen sich die Probleme der Finanzwirtschaft nicht lösen. Denn die eigentliche Ursache der Krise – die massive Überschuldung in einigen Teilen der Welt und insbesondere in den USA – ist nicht einmal ansatzweise behoben. Die Schulden der US-Haushalte haben sich zwischen 1974 und 2008 nahezu verzwanzigfacht – von 704 Milliarden US-Dollar auf 14,5 Billionen US-Dollar.

„Die politische Debatte um die Regulierung der Finanzmärkte hinkt den Notwendigkeiten um Jahre hinterher“, kritisiert Silke Ötsch von der bundesweiten Attac-Arbeitsgruppe Finanzmärkte. Alle Vorschläge, die bislang im Umlauf sind, würden zu kurz greifen. Eine viel umfassendere Neugestaltung des Finanzsektors sei nötig. „Strukturelle Veränderungen lassen sich nur gegen die Interessen der Finanzindustrie erreichen. Doch für die G 20 ist die Beschränkung des Kapitalverkehrs tabu. So stehen wir bald vor der nächsten Finanzkrise, sagt Silke Ötsch.