Spurlos, aber folgenschwer

Prominente wie Francis Bacon, Bruce Nauman, Marlene Dumas oder Barbara Kruger, viele junge Künstler, die verstärkt auf Videoinstallationen setzen, und ein japanischer Pavillon, der sich einhakt, der hier im Gegensatz zu vielem anderen Spuren hinterlässt: Die 51. Biennale von Venedig hat begonnen

Die meisten Entdeckungen kann man in den vielen über Venedig verstreuten Länderpavillons machen

VON BRIGITTE WERNEBURG

Die Journalisten sind die Verräter. Sie dokumentieren tausendfach, wogegen sich Tino Sehgal stemmt. Seine Kunstwerke kennen das Zeitalter ihrer technischen Reproduzierbarkeit nicht. Sehgals Performances dürfen weder fotografiert noch gefilmt noch auf Tonband mitgeschnitten werden. Auch wenn sie als allgemeine Handlungsanweisung existieren, der einzelne Aufführungsfall bleibt idealerweise spurenlos. Wären da nicht die Journalisten, die jetzt darüber schreiben, wie das Aufsichtspersonal im deutschen Pavillon immer wieder ein kleines Tänzchen hinlegte und dabei begeistert „This is so contemporary, Tino Sehgal, 2005“ jubelten.

Sehgals Arbeit für Venedig ist einigermaßen erwartbar ausgefallen. Das Aufsichtspersonal hüpfte nach den Vorgaben des diesjährigen Shooting Stars (taz vom 6. 6.) der internationalen Kunstszene auch schon mal anderswo von einem Bein auf das andere: „This is good, Tino Sehgal, 2001“. Bleibt das schöne Paradox, dass die Spurlosigkeit von Tino Sehgals Performances in der nicht endenden Medienberichterstattung folgenreich wird.

Die Spur aufnehmen, um erfolgreich zu sein, möchte Davide Croff. Der neue Chef der Biennale ist Banker. Dies als einen Zufall zu betrachten, wäre verwegen. Croff soll den Umbau des Festivals, der letztes Jahr mit seiner Überführung in eine Stiftung begonnen wurde, vorantreiben. Umstrukturieren, reformieren, geht der globale Glaube, können nur Manager aus der Industrie- und Finanzwelt. Und falls sich das dann doch nicht bewahrheiten sollte, haben sie im Falle der Kultur hoffentlich wenigstens das dringend benötigte private Geld der Sponsoren herbeigeschafft. Doch damit fallen Kosten anderer Art an. Davide Croff monierte sofort, die Kunstbiennale sei zuletzt kaum mehr verständlich gewesen. Deswegen sollte ihre – erstmals von weiblicher Hand – von den spanischen Kuratorinnen María de Corral und Rosa Martínez verantwortete 51. Ausgabe, „ein klareres Bild davon geben, wo wir stehen, und wie wir dahin gekommen sind“.

Die Kuratorinnen haben diese Vorgabe in nur sechs Monaten Vorbereitungszeit auf hohem Niveau eingelöst. Man wüsste nicht so schnell zu sagen, wo ihnen Versäumnisse vorzuwerfen wären. Weder María de Corral in der von ihr organisierten Ausstellung „The Experience of Art“ in den Giardini noch Rosa Martínez in ihrer Schau „Always a Little Further“, die im Arsenale Kunst von den Siebzigerjahren bis heute vorstellt, fehlen die prominenten Namen, die schon ein Stück zeitgenössische Kunstgeschichte repräsentieren wie Francis Bacon, Bruce Nauman, Marlene Dumas oder Barbara Kruger, die den Goldenen Löwen für ihr Lebenswerk erhält. Auch bei der ganz jungen Kunst haben beide einen guten Überblick. María de Corral mit der Malerei von Matthias Weischer und den designorientierten Installationen des jungen Spaniers Maider López. Rosa Martínez mit ihren wahrhaft globalen Einladungen. Trotzdem möchte man das wohl durchdachte und im Umfang überschaubare Resultat ungern für den Punkt halten, an dem wir heute stehen – zu sehr fühlt es sich so an, als ginge es spurlos an einem vorüber.

Weniges hakt wirklich ein. Die Positionen der älteren und bekannteren Künstler entdeckt man zwar als erstaunlich distinkt, weshalb sie verblüffend frisch wirken. Doch so gern man sie noch immer unverbraucht sieht: Nicht Louise Bourgeois selbst sollte ihr Werk in die Zukunft des 21. Jahrhunderts neu fortschreiben. Das möchte man den jungen Künstlern zugestehen. Doch die setzen weiterhin verstärkt auf Videoinstallationen. Die wenigsten von ihnen aber finden hier zu einer eigenen Sprache, gerade weil in den Filmen so viel gesprochen wird. Ohne Geschichte und vor allem ohne die Moral der Geschichte kommt der Betrachter nicht davon und so quält er sich mit Erkenntnissen, die in ein Tagebuch gehören, nicht aber in die Welt; oder damit, dass er Lexikonwissen und ein paar Zahlen als politische Statements verstehen soll.

Es bleiben also einzelne Arbeiten in Erinnerung. Videos beziehungsweise Filme, in denen allein die Bilder sprechen wie bei Tacita Deans 16-mm-Loop „Palast“, 2004, der in sehr engem Ausschnitt die Fassade des Palasts der Republik beobachtet, im Tagesverlauf, von verschiedenen Seiten. Im Glas zeigen sich ständig neue Spiegelungen des Lichts, des Wetters, der Objekte der Umgebung, Reflexionen, mit denen Dean dem verfemten Kasten in Berlins-Mitte ein kleines, großartiges Denkmal setzt.

Auch die 1974 geborene guatemaltekische Künstlerin Regina José Galindo bleibt in ihrer Performance aus dem Jahr 2003, „Who can erase the traces?“, stumm, aber nicht sprachlos. Das Video der Performance, das im Arsenale zu sehen ist, zeigt die Künstlerin mit einer Schüssel voll Blut, in die sie ihre Füße taucht, um danach so lange auf dem Bürgersteig von Guatemala-Stadt zu gehen, bis der Abdruck verblasst und sie ihre Füße erneut im Blut badet, um weitere Fußabdrücke zu hinterlassen. So simpel, so hochdramatisch. Und doch umstandslos genug durchgeführt, um nicht in den Verdacht zu geraten, schwere Symbolik gegen die Materialschlacht setzen zu wollen, mit der Installationen und skulpturale Arbeiten auftrumpfen.

Klare Gewinnerin ist hier die japanische Künstlerin Mariko Mori, die mit „Wave UFO“, 1999–2002, ein Hochglanzdesignobjekt im Arsenale landen ließ, das eher auf den Autosalon in Genf gehört. Hier wie dort kann man einsteigen, hier in eine Kunstblase, deren Entwicklungskosten freilich der einer Autoprototypenblase gleichkommen dürfte. Ob man in der Wohlfühlkapsel aus Licht, Projektionen und Sound abhebt und sich endlich als Bewohner des Raumschiffs Erde begreift, der in Freiheit und Gleichheit handelt, um zu gegenseitigem Verständnis zu finden, wie Mariko Mori sich das vorstellt, bleibt fraglich. Die Gleichheit schlichter Gedanken muss die Ungleichheit der Mittel, sie zu kommunizieren, nicht notwendigerweise vergessen machen. Das könnte der Akzeptanz des großzügigen Geschenks dann doch entgegenstehen.

Miyako Ishiuchi spricht über das nämliche Thema. Doch die Vertreterin Japans in der Schau der Länderpavillons in den Giardini spricht in ihren Fotos und Filmen von einem lebenslangen Kampf. Dem Kampf ihrer Mutter, die ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen musste und wollte. Ishiuchi hat in Schwarzweiß, und einige wenige Male in Farbe, Kleider, Wäsche und Kosmetik ihrer 2000 gestorbenen Mutter so fotografiert, dass die großen Abzüge tatsächlich eine persönliche Haltung dokumentieren; einen Eigensinn, der den Frauen in Japan noch immer fern liegt.

Der japanische Pavillon geht nicht spurlos an einem vorüber. Damit fällt er auf. Denn die Kuratoren, die für die Länderpavillons verantwortlich sind, agieren seltsam analog zu den Direktorinnen der Biennale. Sie zeigen ihre Klassiker. Großbritannien Gilbert und George; Frankreich Annette Messager; die Vereinigten Staaten Ed Ruscha. Die Veteranen schlagen sich gut. Ed Ruscha etwa trickst mit aufschlussreichem Ergebnis und spielt wie ein Musiker ein paar alte Stücke wieder neu ein. Das heißt, er malt die gleichen Gebäudemotive, die er vor Jahren gemalt hat, noch einmal mit ihren aktuellen Displays. Das „Tech Chem Building“ heißt nun „Fat Boy“.

Haben die Kuratoren nicht die Herkunft der Gegenwartskunst, sondern ihre Zukunft im Visier, hält sich auch bei ihnen die Überraschung in Grenzen. Im deutschen Pavillon, nach 2003 erneut von Julian Heynen, dem künstlerischen Leiter der K 21 Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen in Düsseldorf betreut, tanzt – wie schon erwähnt – das Aufsichtspersonal. Im Hauptraum, wo Thomas Scheibitz, Absolvent der Dresdner Hochschule für Bildende Künste, 16 bunt bemalte Skulpturen aus Spanplatten auf weißen Sockeln (Achtung Kunst!) aufgebaut hat. Im Nebenraum hängen sieben Gemälde. Ihre farbenfrohe Mischung aus figurativen Versatzstücken mit Piktogrammanklängen und den abstrakt geometrischen, aber auch mal freien Elementen, eine Mischung, die auch die Skulpturen charakterisiert, drängt spontan den Gedanken an Kindermalbuch und Kinderspielzimmer auf.

70 Länderpavillons, so viele wie nie zuvor finden sich dieses Jahr auf der Biennale. Das aber heißt, die meisten sind über Venedig verstreut. Hier können noch Entdeckungen gemacht werden. Den rasantesten Pavillon freilich dürfte dennoch Max Hollein, Chef der Frankfurter Schirn-Kunsthalle, kuratiert haben. Mit Hans Schabus, Jahrgang 1970, fand Hollein den Künstler, der den denkmalgeschützten österreichischen Pavillon, den der Secessions-Architekt Josef Hoffmann 1934 entwarf, spurlos zum Verschwinden bringt. Außen begräbt er ihn unter einem Alpengipfel aus Dachpappe und im Innern verstellt er ihm mit einer wilden Holzkonstruktion, die einen umwegreichen und steilen, mit steigenden Temperaturen verbundenen Aufstieg erlaubt, der schließlich mit einem Ausblick über Venedig belohnt wird. Es hätte, nach dem deutschen Kinderzimmer, ein österreichischer Abenteuerspielplatz werden können. Doch die Holzkonstruktion ist dafür zu streng, zu steif, zu monumental; zu würdevoll in ihrer ungeschlachten Form. Sie will und muss etwa darstellen, wie man so sagt. Sie will auf Herkunft aufmerksam machen.

Dafür bringt sie sie zum Verschwinden. Spurlos, aber folgenschwer: Die Kunst will sich ein neues Paradoxon erobern. Das könnte man in Venedig beobachtet haben. Gerade, weil vieles spurlos, also folgenlos, an einem vorüberzog.

Bis 6. November, Venedig