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Ilko-Sascha Kowalczuk im Gespräch Wer war Walter Ulbricht?

Histroriker Ilko-Sascha Kowalczuk hat eine Biografie über Walter Ulbricht geschrieben: Ein Versuch den Gründervater der DDR in seiner Zeit zu begreifen.

DDR-Staatsratsvorsitzender Walter Ulbricht in Rostock 1961. imago stock&people

taz lab: Herr Kowalczuk, Sie haben eine zweibändige Biografie über Walter Ulbricht geschrieben. Wer war Walter Ulbricht?

Ilko-Sascha Kowalczuk: Walter Ulbricht war ein deutscher Kommunist, der zum kommunistischen Diktator wurde. Er war derjenige, der den Traum der Kommunisten umsetzen konnte, einen eigenen Staat zu gründen, die DDR. Deswegen war er auch der bedeutendste deutsche Kommunist.

Gibt es einen Unterschied zwischen Ulbricht und anderen Diktatoren?

Er hat sich, anders als alle nichtkommunistischen Diktatoren zuvor, als das Produkt eines wissenschaftlichen, eines fast naturgesetzlichen Prozesses angesehen. Das war die Idee der Kommunisten, sie vollziehen etwas, was sowieso kommt, ein Gesellschaftsgesetz.

Wir neigen dazu, vom Ende her zu erzählen und zu sagen: Das war von vornherein klar, das musste passieren. Ist das bei der Biografie Walter Ulbrichts auch so?

Nichts ist klar. Die größte Kontinuität, die wir in unseren Biografien aufweisen, ist unser Name. Biografien sind eine Ansammlung von Zufällen, von Dingen, die sich nicht vorhersehen lassen. Ich gehöre zu einer Sorte von Biografen, die nicht glauben, ihren Protagonisten wirklich durchschauen zu können. Ich kann Ulbricht nicht in den Kopf oder ins Herz schauen. Wie könnte ich auch, ich verstehe mich ja selbst kaum.

Ilko-Sascha Kowalczuk

Jahrgang 1967, geboren in Ostberlin, ist Historiker. „Walter Ulbricht. Der kommunistische Diktator“ erschien 2024 beim C. H. Beck Verlag.

Welche Probleme entstehen dadurch bei der Arbeit an einer Biografie über Ulbricht?

Es ist in den letzten Jahrzehnten viel geschrieben worden über Ulbricht, vor allem von seinen früheren Weggefährten, die dann seine Gegner wurden. Und diese Gegner sind in der Regel in den Westen gegangen und brauchten eine Legitimation, dass sie endlich auf der richtigen Seite stehen. Ulbricht wurde für sie zur Projektionsfläche.

Welche Mythen über Ulbricht halten sich auch dadurch hartnäckig?

Ein Grundnarrativ war: Ulbricht sei schon als Kind verdorben gewesen, er kam aus einem Zuhältermilieu, er wuchs in einem fürchterlichen Gebiet in Leipzig auf. Alles, was man sich irgendwie vorstellen konnte, wurde ihm angedichtet. Nichts davon stimmt. Ich versuche, Ulbricht in seiner Zeit zu begreifen. Und da entsteht ein anderes Ulbricht-Bild.

Wie sieht dieses Bild aus?

Die Familie kommt aus dem Leipziger Arbeitermilieu, vor der ich einen unfassbaren Respekt habe. Die sagten: „Bildung, Bildung, Bildung.“ Bildung als Schlüssel, um aus dem Dreck rauszukommen. Dann macht er die Spaltung der Arbeiterbewegung 1914 mit. Er gehört zum Liebknecht-Luxemburg-Flügel der SPD und kommt in die kommunistische Bewegung. Aber daraus lässt sich noch immer keine Folgerichtigkeit ableiten für das, was später kommt.

Wäre unser Ulbricht-Bild ein anderes, wenn er die 1930er Jahre nicht überlebt hätte? Wäre er dann eher Widerstandskämpfer gegen den Nationalsozialismus als kommunistischer Diktator?

Ulbricht war Widerstandskämpfer gegen den Nationalsozialismus, genauso wie Ernst Thälmann. Aber sie haben den Fehler gemacht, lange Zeit mehr auf die sozialdemokratischen Klassenbrüder einzuschlagen als auf die Nazis. Viele glauben bis heute, die Kommunisten, die in den 1930er Jahren in Moskau von Stalin – übrigens so zufällig wie das Überleben der anderen – an die Wand gestellt wurden, wären die besseren Kommunisten gewesen.

Aber das waren sie nicht?

Dahinter steckt die Hoffnung, es müsse doch noch den richtigen Kommunismus geben. Es muss richtige, gute kommunistische Ideen geben, diese hätten nur die falschen Leute umgesetzt. Wenn man die Theorie aber kennt, ist der Massen­terror Lenins Kommunismus inhärent: Wer abweicht, wird eliminiert.

Es gibt also keinen „guten“ Kommunismus?

Es gibt keinen guten Leninismus. Ich unterscheide sehr genau. Ich bin kein Freund anderer kommunistischer Ideen, aber ich würde offener über sie diskutieren.

Wolf Biermann hat über Ihr Buch gesagt, es hätte ihn dazu gezwungen, Ulbricht als Menschen zu sehen. Inwiefern hat sich auch Ihr Verhältnis im Laufe des Schreibens verändert?

Ich habe mich viel mit Ulbrichts Kindheit und mit dem frühen Erwachsenenleben beschäftigt. Das hat mich alles sehr bewegt, weil ich Hochachtung vor dieser Arbeiterbewegungsgeschichte habe.

Wenn man mich jetzt aber fragen würde, mit welcher Person aus der Geschichte ich mal Abendbrot essen würde, fielen mir eine ganze Menge anderer Leute ein. Ich fürchte, Ulbricht würde mir sowieso nicht erzählen, was mich interessiert. Das kenne ich von anderen Kaderkommunisten, die reden teilweise bis heute nicht über die wirklich heißen Eisen.

Sie beklagen die Glorifizierung der DDR in manchen Büchern. Wie beobachten Sie die Entwicklung?

Menschen mögen einfache und wohl bekannte Antworten. Es ist sehr bequem, wenn dann in manchen Büchern jeder Ostdeutsche zum Opfer wird oder jeder Mitläufer und Täter in der DDR zum zufriedenen Bürger, der mit der SED-Diktatur nichts zu tun hatte. Für jeden denkenden Menschen sind diese Antworten aber eine totale Beleidigung.

Auf dem taz lab: Ilko-Sascha Kowalczuk in der Live-Aufnahme des Podcasts Anno Punkt Punkt Punkt: Weißer Raum, 11.15 Uhr, und „Sozialismus damals und morgen“, Rote Bühne, 14.30 Uhr.