Flüchten – wohin denn?

Das Oberverwaltungsgericht prüft, ob Flüchtlinge aus Tschetschenien irgendwo innerhalb der russischen Föderation sicher sind. Wenn nicht, dürften die 15 Familien in Bremen bleiben

bremen taz ■ Jeder kennt die Kriegsberichte und blutigen Verfolgungsszenarien aus Tschetschenien – doch dass in Bremen schon ein Tschetschene als politischer Flüchtling anerkannt wurde, ist nicht bekannt. Bislang sind die Betroffenen vor dem Asylbundesamt und vorm Verwaltungsgericht mit ihrem Asylbegehren gescheitert. Nun prüft das Oberverwaltungsgericht, ob sie dennoch bleiben dürfen.

Rund 15 tschetschenische Familien leben in Bremen. Viele von ihnen machen sich nun Hoffnungen. Denn das Oberverwaltungsgericht (OVG) hat die Berufung dreier Flüchtlinge gegen ihre Asylablehnung zugelassen – um zu klären, ob es für tschetschenische Flüchtlinge innerhalb der russischen Föderation inländische Fluchtmöglichkeiten gibt. Wenn nicht, dann müssten die Flüchtlinge in Bremen bleiben dürfen.

In zwei Wochen wird zu dieser Frage eine Entscheidung des Gerichts erwartet. „Wir können nur hoffen“, sagte gestern ein Kläger. Der Familienvater war 1996 mit einem gekauften Pass per Eisenbahn aus Grosny über Moskau nach Deutschland geflohen. Schon das ein Asylablehnungsgrund: Er hätte doch in einem sicheren Drittstaat bleiben können. Auch dass die Russen ihn einfach ausreisen ließen, werteten die Verwaltungsrichter als Argument gegen eine schwerwiegende Verfolgung des Mannes, zumal er 1996 floh – als der Krieg vorerst beendet war und die Russen ihre Truppen aus Tschetschenien abzogen. Dennoch überzeugte der Mann die Ehefrau, mit dem Kind nachzukommen. „Ich wusste, dass es schlimmer werden würde“, sagte der 46-jährige Bautechniker gestern. Das bestätigte gestern auch der Fall zweier Frauen und zweier Kinder, die 1999 – während des zweiten Kriegs – nach Bremen geflohen waren. Alle sagen: „Wenn wir nicht bleiben können, wissen wir nicht, wohin wir gehen sollen.“

Um das Wohin drehte sich gestern die Verhandlung – einen Tag nach Bekanntwerden des Todes von Aslan Maschadow, dem 1997 gewählten Präsidenten Tschetscheniens, der aus dem Untergrund die politische Unabhängigkeit Tschetscheniens unter weitgehend säkularen Vorzeichen betrieb. Russische Militärs sollen den Rebellenführer, auf dessen Kopf der russische Inlandsgeheimdienst acht Millionen Euro ausgesetzt hatte, in einem Bunker aufgerieben haben. Doch bezogen sich die Richter gestern weniger auf die nun erwartete Zuspitzung des bewaffneten Konfliktes zwischen russischen Truppen und islamischen Unabhängigkeitskämpfern. Thema waren vielmehr Dokumente der unabhängigen internationalen Hilfswerke sowie des Auswärtigen Amtes. Die hatten immer eine Gruppenverfolgung der Volksgruppe der Tschetschenen bestätigt – aber bisweilen auch Fluchtmöglichkeiten innerhalb der Föderation erkannt. Nun wächst jüngsten Berichten zufolge auch in Inguschetien, wo über eine viertel Million Tschetschenen unter erbärmlichen Bedingungen Zuflucht fanden, die Bedrohung: Russisches Militär gehe vermehrt gegen Flüchtlingslager vor, in denen Rebellen vermutet würden, so das Gericht.

Unbestritten blieb gestern, dass Tschetschenen in den großen russischen Städten keine Chance haben, registriert zu werden. Dies aber wäre die Voraussetzung für Wohnung, Arbeit und Schulbesuch der Kinder. Fast beiläufig wurde gestern bekannt, dass Tschetschenen zurzeit nicht abgeschoben werden – denn Russland stellt keine Passpapiere für diese Gruppe bereit.

Eva Rhode