„Mir wäre es lieb, wenn Joschka Fischer bald aussagt“

Grünen-Ministerin Höhn will die Visadebatte „sehr offensiv behandeln“, um die Folgen für die Wahl in Nordrhein-Westfalen zu begrenzen

taz: Frau Höhn, bei Ihnen in Nordrhein-Westfalen wird am 22. Mai gewählt. Ist das Rennen nach dem knappen Wahlausgang in Kiel wieder offen?

Bärbel Höhn: Ich habe nie geglaubt, die Wahl in NRW sei schon entschieden. Schleswig-Holstein zeigt, dass wir uns anstrengen müssen, dass wir nicht auf günstige Prognosen vertrauen dürfen und dass es auf jede Stimme ankommt. Insofern hat das knappe Ergebnis auch sein Gutes – weil es uns noch mehr motiviert.

Haben SPD und Grüne die Visa-Affäre unterschätzt?

Moment mal: Es geht nicht um eine Affäre, sondern um eine Debatte über weltoffene Visapolitik. Auf die Ergebnisse in Schleswig-Holstein hat sich diese Debatte nicht ausgewirkt. Eine andere Frage ist, inwieweit sie unseren Wahlkampf in Nordrhein-Westfalen bestimmt. Das werden die nächsten Monate zeigen.

Finden Sie es hilfreich, dass Joschka Fischer erst nach der Wahl vor den Berliner Untersuchungsausschuss treten will?

Wir haben diese Frage heute im Parteirat intensiv diskutiert, insbesondere mit Joschka Fischer selbst. Wir sind uns vollkommen einig: Wir werden das Thema im Landtagswahlkampf offensiv aufgreifen, und Joschka Fischer wird sich in NRW sehr engagieren. Wir werden die politische und inhaltliche Debatte abkoppeln von den vielen Einzelpunkten, die im Untersuchungsausschuss diskutiert werden.

Heute früh haben Sie gefordert, Fischer solle vor der Landtagswahl befragt werden. Gilt das mittags nicht mehr?

Ich sage immer noch: Mir wäre es lieb, wenn Fischer möglichst bald aussagt. Aber nach dem Procedere eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses ist das offenbar nicht möglich. Zuerst müssen die Abgeordneten alle Akten bekommen, dann müssen bestimmte Zeugen vernommen werden – und erst am Ende kommt dann Joschka Fischer.

Ihre Fürsorge für die Abgeordneten in Ehren – ist das Argument nicht vorgeschoben?

Die Opposition will offenbar sehr viele Zeugen befragen, um den Minister am Ende mit diesen Aussagen zu konfrontieren. Dann macht es wenig Sinn, ihn schon am Anfang vorzuladen.

Wäre es schlimm, Joschka Fischer zweimal zu befragen?

Das wird nur dazu führen, dass die Opposition dann sagt: Er konnte noch nicht alle Fragen beantworten. Auf dieses taktische Spiel lassen wir uns nicht ein. Die Wähler interessieren sich ohnehin nicht so sehr für die Frage, wer welches Dokument zu welchem Zeitpunkt gesehen hat. Wichtig ist, dass wir das Thema politisch und inhaltlich sehr offensiv behandeln – und zwar dadurch, dass wir Joschka Fischer verstärkt in den Wahlkampf nach Nordrhein-Westfalen holen und dort die Vorteile einer weltoffenen Visapolitik diskutieren.

Sind Sie sicher, dass Ihnen das hilft? Die Art, wie Fischer die Verantwortung auf seine Mitarbeiter abgewälzt hat, war für Ihre Partei nicht hilfreich.

Wir werden die weltoffene Politik der Grünen an dieser Frage sehr deutlich darstellen. Es ist schon interessant, wenn die Opposition auf der einen Seite eine große Kampagne gegen unsere Visapolitik fährt – und gleichzeitig fordert Roland Koch bessere Einreisemöglichkeiten für Chinesen, das Gleiche, was sie uns auf der anderen Seite vorwerfen.

Damit Sie in Düsseldorf regieren können, brauchen Sie die Stimmen der SPD. Glauben Sie, dass Sie das Thema bei der klassischen SPD-Klientel vermitteln können – etwa mit Ihrer Aussage, legale Prostitution sei Ihnen lieber als illegale?

Das habe ich nicht gesagt, und das ist auch nicht meine Meinung. Ich habe gesagt: Frauen, insbesondere Prostituierte, befinden sich häufig in einer viel schlimmeren Situation, wenn sie illegal hier sind, als wenn sie ein gültiges Visum besitzen. Jeder, der in diesem Bereich arbeitet, kann Ihnen das bestätigen. Dass man mir eine solche Aussage derart verdreht, macht die Qualität dieser Kampagne der Konservativen deutlich.

Nochmals gefragt: Hat die SPD größere Schwierigkeiten mit dem Thema als die Grünen?

Das glaube ich nicht. Sie müssen sehen, dass NRW ein klassisches Einwanderungsland ist. Wir haben insbesondere im Ruhrgebiet einen großen Anteil von Menschen, die aus vielen Teilen der Erde zu uns gekommen sind. Insofern glaube ich, dass auch die SPD sehr wohl für solch eine weltoffene Politik steht.

Sie glauben, dass Sie damit am 22. Mai gewinnen können?

Es geht ja nicht nur um die Wahl in Nordrhein-Westfalen. Es geht der Opposition auch darum, die Grünen mit Blick auf die Bundestagswahl 2006 zu diskreditieren. Deshalb macht es keinen Sinn, der inhaltlichen Diskussion auszuweichen. Wenn das aus formalen Gründen im Untersuchungsausschuss nicht geht, dann müssen wir dafür die politische Bühne wählen.

INTERVIEW: RALPH BOLLMANN