Spätfolge Knast-Skandal: Beamtin fliegt

Disziplinarkammer entscheidet auf Rausschmiss: Sechs Jahre nach gewalttätigen Übergriffen auf Gefangene soll suspendierte Justizbedienstete aus dem Beamtenverhältnis entlassen werden. Die 36-Jährige will dagegen in die nächste Instanz gehen

Bremen taz ■ Ihre Entlassung aus dem Beamtenverhältnis will die Justizbedienstete Sandra B. nicht hinnehmen. Das kündigte gestern ihr Anwalt an – kurz nachdem die Disziplinarkammer am Verwaltungsgericht dies nach vierstündiger Verhandlung und Beratung entschieden hatte. Die heute 36-jährige Frau – sowie mehrere ihrer KollegInnen – hatte seit 1996 im Mittelpunkt mehrjähriger Ermittlungen und Verfahren gestanden, nachdem Übergriffe durch Gefangene und Bedienstete gegen Sexualstraftäter im Knast bekannt geworden waren. „Was passiert ist, darf nicht passieren“, begründete der Vorsitzende Richter Viggo Eiberle-Herm gestern die Entscheidung der Disziplinarkammer. Das Vertrauen zwischen dem Dienstherrn und der Beschäftigten sei zerstört.

Die Beschuldigte nahm die Entscheidung blass, aber gefasst auf. Noch während der Anhörung hatte sie gesagt, sie finde es nicht richtig, als Einzige zur Schuldigen gestempelt und aus dem Dienst entlassen zu werden. Der Vertreter der Dienstbehörde hatte sie zuvor nach ihrer Haltung heute zu den Vorfällen von vor sechs Jahren gefragt. Später hatte er die Dimensionen ihrer mehrfachen Verfehlungen – für die die Frau in letzter Instanz zu insgesamt neun Monaten Haft auf Bewährung verurteilt worden war – klar umrissen: Eine Justizbedienstete im Vollzug stehe für Sicherheit und Ordnung. Sie müsse die Gefangenen schützen. Stattdessen habe Sandra B. die Zellentür von Sexualstraftaten Verdächtigter in Untersuchungshaft geöffnet – und wissentlich den Weg für Gewalttätigkeiten frei gemacht gegen insbesondere einen Mann, der in der Gefängnishierarchie „ganz unten“ stand. Der damals 42-Jährige war durch mehrere zum Teil später dafür verurteilte Insassen in seiner Zelle zusammengeschlagen worden. Sandra B. hatte die Zellentür nach kurzem Wortwechsel mit ihm wieder verschlossen. Erst nach dem Alarmruf des Verletzten, 20 Minuten später, war er auf die Intensivstation einer Klinik gebracht worden. Er wurde später als Sexualstraftäter nicht verurteilt.

Bis heute zahlt die 2002 wegen Körperverletzung im Dienst rechtskräftig verurteilte Sandra B. Schmerzensgeld an das Opfer – insgesamt 3.500 Euro. Seit April 1997 ist sie – bei um zehn Prozent reduzierten Bezügen – vom Dienst suspendiert. Dies wird bis zu einer Entscheidung der nächsten Instanz so bleiben.

Staatsanwalt Johann Gottschalk hatte für die Arbeitgeberseite die sofortige Beendigung des Dienstverhältnisses ohne Übergangsgeld beantragt. Die Beschuldigte habe genug Vorbereitungszeit gehabt. Auch sei das Ansehen der Beamten im Vollzug durch ihr Verhalten beschädigt worden, sie müssten durch die Entfernung der Frau aus dem Dienst geschützt werden.

Der Anwalt der Beschuldigten hatte vergeblich auf „Einzelfallgerechtigkeit“ und auf eine Fortdauer des Beamtenstatus gepocht. Die Lage der überforderten Frau müsse berücksichtigt werden. Der Dienstherr habe sich damals „verkrochen und beiseite geschaut“. Tatsächlich hatten auch im Strafverfahren die Beteiligten dem abberufenen Anstaltsleiter Fehler und Versagen vorgehalten. Die Disziplinarkammer gestern befand aber, dass „mögliche Organisations- und Aufsichtsmängel“ keine Entschuldigung böten. Eva Rhode