„Die Resistenzen nehmen zu“

150 norddeutsche Experten diskutierten am Wochenende neue Entwicklungen bei HIV und Aids: Immer mehr Frauen werden neu infiziert, meistens durch ungeschützten heterosexuellen Geschlechtsverkehr. Außerdem ist das Ansteckungsrisiko höher

„Kürzungen im Gesundheitswesen lösen bei vielen Existenzängste aus“

Bremen taz ■ Ärzte sind besorgt, denn immer öfter werden Aids-Kranke gegen Medikamente resistent. „Innerhalb eines Zeitraums von nur zwei Jahren können so ganze Medikamentengruppen für die Behandlung verloren gehen“, warnt Birger Kuhlmann, der Vorsitzende der Niedersächsischen Arbeitsgemeinschaft niedergelassener Ärzte, die sich auf die Versorgung HIV-Infizierter spezialisiert haben. Die vielen Medikamente mit den schweren Nebenwirkungen müssten oft im genauen Zeittakt eingenommen werden. Wer das nicht durchhalte, fördere Resistenzen.

Schon heute weisen in den USA rund 40 Prozent der HIV-Neuinfizierten solche Resistenzen auf – mit der Folge, dass die Therapie nicht anschlägt. In Deutschland sei das ein großes Problem, warnen Ärzte. Zwar gebe es einen so genannten Resistenztest. Doch die Kosten der rund 450 Euro teuren Untersuchung werden von den gesetzlichen Krankenkassen nicht durchgängig übernommen. In verschiedenen Regionen, darunter Bremen, müssen die Kranken die Untersuchung selbst bezahlen. „Unlogisch“ nennt Kuhlmann diese Praxis angesichts von rund 1.500 Euro monatlichen Kosten für Medikamente – die im Resistenzfall wirkungslos blieben. Dem stimmten am Wochenende in Bremen viele der rund 150 TeilnehmerInnen des sechsten Norddeutschen HIV-Symposiums zu.

Die Kostenfrage treibt derzeit auch Intensivmediziner wie den Bremer Oberarzt Dietz Krisponeit an der Sankt-Jürgen-Klinik um. „Wenn die Fallpauschalen in den Kliniken kommen, werden wir große Probleme bekommen“, sagt er. Die für einen bestimmten Zeitraum festgesetzte Pauschale könne die hohen Behandlungskosten im Akutfall nicht decken. Dabei sei der Krankheitsverlauf gerade bei Aidspatienten schwer vorherzusehen. „Wir hatten bereits gute Erfolge bei Patienten, die anderswo schon fast totgesagt waren“, berichtet er von einem Kranken, der nach zweimonatigem Klinikaufenthalt mit Zwangsbeatmung heute sogar wieder arbeiten könne. „Es lohnt sich, alles zu investieren“, betont Krisponeit. Dabei seien stationäre Aufenthalte nicht nur in der Therapie wichtig, auch für eine genaue Diagnose der zunehmend komplizierteren Krankheitsverläufe seien sie oft unvermeidlich.

Die Vielfalt an Krankheiten, unter denen Aids-Kranke zunehmend leiden, ist und bleibt auch aus Ärztesicht die Schattenseite der neuen Medikamente. Diese haben vielfach schwere Nebenwirkungen – die erst jetzt, durch die verbesserten Überlebenschancen der Erkrankten, untersucht werden können. Besonders notwendig sei dies für die Gruppe der aidskranken Frauen. „Bei ihnen wirken Medikamente anders“, sagt die Bremer Internistin Sigrid Weber. Das Wechselspiel zwischen Hormonen und Medikamenten beispielsweise sei so gut wie unbekannt. Zudem gelte wie in anderen medizinischen Bereichen, dass Medikamente meist an Männern getestet wurden. „Wir müssen hier verstärkt forschen“, fordert Weber. „Denn ein Viertel der bundesweit 2.000 HIV-Neuinfizierten im Jahr 2002 waren weiblich.“

Die meisten Frauen holen sich Untersuchungen zufolge den Virus durch ungeschützten heterosexuellen Kontakt. „Frauen tragen durch ihre größeren Schleimhäute ein höheres Ansteckungsrisiko als Männer“, warnt sie. Dass weibliche Infizierte dennoch vergleichsweise wenig in Schwerpunktpraxen zur Behandlung erscheinen, deute auf Probleme hin, deren Ursache noch unbekannt sei. Eine Vermutung: „Frauen werden stärker stigmatisiert.“

Vor zunehmender sozialer Ausgrenzung warnt der Bremer Aids-Berater Bernd Thiede. Die bevorstehenden Kürzungen im Renten- und Gesundheitsbereich stürzten Infizierte und Kranke in echte Existenznöte, mahnte er. Dabei plage sich jeder einzelne Kranke nach wie vor mit persönlichen existenziellen Sorgen, die durch die medikamentös verlängerte Lebensdauer nicht behoben seien. Eva Rhode