Eilabschiebung empört Politiker in Berlin

Sozialdemokraten, Grüne und Liberale kritisieren das Vorgehen der italienischen Behörden. Cap-Anamur-Chef Bierdel fordert, die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen. Entwicklungsministerin Wieczorek-Zeul lehnt Auffanglager in Nordafrika ab

VON DANIEL SCHULZ

Politiker der rot-grünen Bundesregierung und der FDP haben kritisiert, dass Italien 32 der 37 von der „Cap Anamur“ an Land gebrachten Afrikaner im Eilverfahren abgeschoben hat.

„Ich habe die Sorge, ob das Recht auf humanitären Schutz hinreichend geprüft wurde“, sagte der Zuwanderungsexperte der Grünen Volker Beck. FDP-Menschenrechtssprecher Rainer Funke nannte das Vorgehen der italienischen Behörden „bedenklich“. Der menschenrechtspolitische Sprecher der SPD, Rudolf Bindig, sprach von „Hinweisen, dass europäische Rechtsstandards nicht eingehalten worden sind“. So hätten die Flüchtlinge eigentlich das Recht gehabt, ihre Anwälte zu sehen und Einspruch zu erheben, sagte Bindig.

Die Flüchtlingshilfsorganisation Pro Asyl gab der Bundesregierung eine Mitschuld an den Eilausweisungen. „Otto Schily und seine Blockadehaltung haben dazu beigetragen“, sagte Karl Kopp von Pro Asyl. Die Innenminister aus Italien, Deutschland und Malta hätten eine Taktik der „kollektiven Nichtzuständigkeit“ verfolgt. Kopp sagte aber auch, die „Cap Anamur“ hätte nach Deutschland fahren sollen, nachdem die Italiener am 1. Juli die Einfahrt in den Hafen Porto Empedocle verweigert hatten. „Da war klar, dass hier ein politisches Exempel statuiert werden soll“, sagte Kopp. CDU-Fraktionsvize Wolfgang Bosbach machte auch die Hilfsorganisation selbst verantwortlich: Cap Anamur habe versucht, öffentlichen Druck auf die italienischen Behörden auszuüben, anstatt den diplomatischen Weg zu suchen. „Da ist eine solch harsche Gegenreaktion kaum verwunderlich.“

„Cap Anamur ist zwar eine seltsame Mischung aus Samariter- und Publicity-Organisation“, sagte SPD-Mann Bindig. Das rechtfertige aber nicht die „Überreaktion der Italiener.“ Dagegen habe die Bundesregierung rechtlich korrekt gehandelt, so Bindig. Dem stimmte auch der Grüne Beck zu. Er kritisierte Schily aber sanft: „Ich hätte mir von ihm etwas mehr Flexibilität gewünscht“, sagte Beck.

Unterdes prüft Cap Anamur Schritte, wie den nach Ghana abgeschobenen Flüchtlingen noch geholfen werden kann. „Unsere Möglichkeiten sind aber stark begrenzt“, sagte Cap-Anamur-Chef Bierdel. Man werde versuchen, die Abgeschobenen nicht ganz aus dem Blickfeld der Öffentlichkeit verschwinden zu lassen. Bierdel forderte außerdem, die Verantwortlichen für die Schnellabschiebungen in Italien zur Rechenschaft zu ziehen. „Wir haben Fehler gemacht und stehen dazu“, sagte Bierdel, „aber die Hintermänner dieser brutalen und illegalen Aktion wurden bisher nicht angefasst.“

Unterdessen wurde erneut Kritik an der Schily-Idee laut, Auffanglager für Flüchtlinge in Nordafrika zu errichten. Bundesentwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD) sagte, dies gehe „am Problem vorbei“. Die Menschen müssten ihre Asylanträge in Europa stellen dürfen. Grünen-Chef Reinhard Bütikofer erklärte, dass Schilys Vorschlag in der rot-grünen Koalition keine Mehrheit finden würde. „Lager in Afrika wären nicht mit dem Grundgesetz vereinbar“, befand SPD-Menschenrechtsexperte Bindig. Man könne stattdessen über Lager auf dem Gebiet der EU nachdenken, so Bindig, dies habe auch das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen vorgeschlagen.

Der FDP-Innenpolitiker Max Stadler bekräftigte, Lager in Afrika seien mit seiner Partei nicht zu machen. Er kritisierte, dass der Fall Cap Anamur als Anlass benutzt werde. „Über diese Lager diskutieren die EU-Innenminister schon seit Monaten“, sagte Stadler, „diese zynische Idee kam Schily nicht erst während der Ereignisse in Italien.“ Im Innenministerium wird man inzwischen vorsichtiger. Die Lager seien „vorerst nur eine Überlegung gewesen“, hieß es gestern.

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