Wo sich Kunst auszahlt

Trotz ETA-Terror boomt im nordspanischen Baskenland der Tourismus. Die alten Industriezentren sind zu Kulturzentren geworden. Ein kultureller Streifzug durch das Baskenland. Gute Küche inclusive

Fotos & Text PETRA SCHROTT

Mitten ins Herz einer verarmenden, hässlichen Industriestadt ein leuchtendes Museum bauen und damit weltberühmt werden, das schien zu verrückt. Das Guggenheim Museum in Bilbao ist inzwischen zum Magneten für Touristen aus aller Welt geworden. Es kommen so viele Besucher, dass selbst die optimistischen Prognosen um ein Doppeltes übertroffen werden. Eine Million Kunstinteressierte besuchen seit 1997 jährlich das Museum und tragen mit dazu bei, dass die Region wirtschaftlich boomt.

Angesichts dieser Erfolgsgeschichte sind auch die Kritiker verstummt. Das ehemalige Werften- und Industriegelände am Ufer des Nervión lag mit dem Tiefpunkt der Stahlkrise in den späten 80er-Jahren brach. Den großen zentralen Komplex riss man ab und schuf im Zentrum Bilbaos einen Freiraum, den der Architekt Frank O. Gehry ausfüllen durfte. 100 Millionen Dollar erhielt er dafür. In der Stadt mit der rostbraunen Patina schillert nun das Konstrukt aus Titan, Glas und Kalkstein und wechselt seine Farben mit dem Licht. Die waghalsig geschwungene Vision des Architekten trotzt auch denen Bewunderung ab, die die baskische Regierung kritisieren, weil sie so viel Geld in die Zurschaustellung amerikanischer Kunst investiert. In Bilbao setzen die Stadtplaner auf zugkräftige Architektennamen. Sir Norman Foster entwarf 1995 das U-Bahn-System der Stadt. Der spanische Stararchitekt Santiago Calatrava machte mit dem Flughafen in Form einer Schwalbe Furore.

Chillida Leku, Chillidas Ort heißt das Freiluftmuseum in Hernani. Unter freiem Himmel, in einem großen Park sind 40 Skulpturen des baskischen Bildhauers Eduardo Chillida versammelt. Vor 50 Jahren fertigte der Künstler seine ersten Werke in der Dorfschmiede von Hernani an. Das Gewicht der späteren Stahlskulpturen ließ sich nur noch in industriellen Schmieden zähmen. Die Suche Chillidas nach einer Verbindung von Kunst und Natur scheint in dem großzügigen Gelände, wo seine Skulpturen stehen, einen idealen Ort gefunden zu haben. Wie Gedichtanfänge klingen die Titel seiner Werke „Suche nach dem Licht“, „Großes Zittern“, „Lob des Horizonts“. Über die gepflegte Rasenlandschaft flitzen die Kinder und erkunden die Innenräume der Kunstwerke. Stiller geht es im Museum zu, einem umgebauten Bauernhaus aus dem 16 . Jahrhundert, von dem nur noch die Fassade steht. Kleinere Plastiken, Modelle und Zeichnungen geben einen Überblick über das Lebenswerk des Künstlers.

„Windkamm“ nannte Chillida eine Serie aus Stahl. Ein Objekt dieser Serie ist in Hernani zu sehen, ein anderes treibt sein Spiel zwischen Himmel und Meer am felsigen Strand von San Sebastián. Zu seinen Lebzeiten hatte Chillida dort von seiner Wohnung auf dem Monte Igueldo die beste Sicht auf die wunderschöne Bucht von San Sebastián. Dicht gedrängt sonnen sich heute die Leiber in der Bucht. Zwischen den Halbnackten spießt ein Mann in weißem Schutzanzug Ölklumpen auf. „So schlimm war es lange nicht“, behauptet er. Auch die baskischen Zeitungen heben die Öschwemme am nächsten Tag auf ihre Titelseiten. Aus 1.000 Kilometer Entfernung von der galicischen Küste wird das Öl aus dem 2002 gesunkenen Tanker „Prestige“ bis an die baskische Küste geschwemmt. Vor dem Heimweg vom Strand werden die klebrigen Füße mühsam mit Terpentin gesäubert, die Toilettenfrau gibt großzügig Wattestreifen aus. Die Einheimischen scheinen mit dem Öl zu leben.

Die ungekrönten Könige des Baskenlandes sind die Köche. Unbestrittene Nummer eins ist Juan María Arzak, aber neben ihm tummelt sich die dichteste Ansammlung von Michelin-Sternen in Europa. Man ist stolz auf die Vorzeigeköche, aber gutes Essen gehört zum Alltag. Geschlemmt wird großzügig und zwar mittags und abends, gerne in großen und lautstarken Gruppen. Pixtos heißen die leckeren, kleinen Schleckereien für die eher Eiligen.

Sehr begehrt ist die Mitgliedschaft in einem Kochclub, eine männliche Domäne seit über 100 Jahren. In den Räumen der Sociedad Gaztelubide in der Altstadt von San Sebastián beginnt Manuel mit dem Anbraten der Kabeljaubäckchen. Immer donerstags trifft er hier seine Freunde, gekocht wird reihum. Frauen werden manchmal eingeladen, aber eigentlich genießt er die Gesellschaft unter Männern. „Da wird ehrlicher geredet. Frauen tratschen zu viel und säen Unfrieden.“ Doch auch unter Männern braucht es Zensur, um die Harmonie zu erhalten. „Über Politik und Religion darf nicht gesprochen werden“, sagt Manuel.

Der Mitarbeiter des Tourismusministeriums Mario Michel scheint auch lieber sein Essen zu genießen, als über Politik zu sprechen. Er ist zufrieden mit den um 10 Prozent gestiegenen Einnahmen aus dem Tourismus im vergangenen Jahr. Wie viele Reisende aus Furcht vor den Terroranschläge abgehalten werden, lässt sich schwer messen. Um 80 Prozent rückläufig sind jedenfalls die Auslandsinvestitionen. Die Sympathie für die ETA ist jedenfalls unübersehbar. Die Hafeneinfahrten sind mit politischen Parolen beschmiert. „Euskal Presoak, Euskal Herriba“ heißt „Gefangene zurück ins Baskenland“ und ist auf dem zentralen Platz, der Placa de la Constitución, geflaggt zwischen akkurat geflegten Geranien. Wer sich deutlich gegen den Terrorismus der ETA äußert, macht sich angreifbar. So zum Beispiel der Künstler Augustín Ibarrola. Seine Mitgliedschaft in der Organisation „¡Basta Ya!“ führte dazu, dass seine bunt angemalten Bäume in der Nähe eines Waldes von Guernica zerstört wurden. „Höchstens 10 Prozent der Bevölkerung teilen die Ansichten der ETA“, sagt Eva, die aus Galicien stammt und seit einigen Jahren im Baskenland studiert. „Trotzdem werden wir von ganz Spanien gehasst.“ Attentate werden von den herrschenden Parteien als Argumente für die Erweiterung der autonomen Kompetenzen akzeptiert. „Bombe am Bahnhof Bilbao entschärft“, „der Jachthafen Getxo bedroht“, „Hotel in der Innenstadt geräumt“ – das sind zufällige Meldungen aus einer Woche Abendnachrichten.

Ruhiger scheint es in der Haupstadt des Baskenlandes, Vitoria, zu sein. Hier hat sich die Einwohnerzahl in zehn Jahren verdoppelt. Hier werden die höchsten Immobilienpreise des Landes gezahlt. Bei der Einfahrt in die Stadt wird der Bauboom sichtbar. Es fehlen einheimische Fachkräfte für diesen enormen Aufschwung, die ersten Versuche mit deutschen arbeitslosen Facharbeitern laufen an. Die deutschen Gastarbeiter könnten sich wohlfühlen. Vitoria hat mit 40 Quadratmeter die meisten Grünflächen pro Kopf in Europa. Die gesamte Altstadt mit ihrem Oval aus mittelalterlichen Türmen und Renaissancepalästen ist als Kulturdenkmal klassifiziert.

Auch Vitoria leistet sich seit 2002 ein neues Museum. Das Artium, ein Museum für zeitgenössische baskische Kunst, widmet bis September dem 34-jährigen Installationskünstler Javier Perez eine Retrospektive.

Inzwischen setzen auch die reichen Weinkellereien auf Kunst am Bau von ruhmvollen Namen: Santiago Calatrava hat für eine würdige Lagerstätte des „Rioja Alavese“ gesorgt. Die schwungvolle Konstruktion aus Holz und Naturaluminium nimmt die Form der Berge und Weinreben auf. Und Frank O. Gehry, der Erfolgsarchitekt des Guggenheim Museums, wird die neue Bodega der Marke „Marques de Piscal“ planen.

Spanisches Fremdenverkehrsamt, Kurfürstendamm 63, 10707 Berlin, Tel: (030) 8 82 65 43Guggenheim Museum in Bilbao: www.guggenheim-bilbao.es Skulpturenpark Chillida in hernani: www.eduardo-chillida.comArtium, Centro Museo Vasco de Arte Contemporaneo: ww.artium.org