„Der Skandal macht mir Angst“

Interview RALPH BOLLMANN
und THILO KNOTT

taz: Herr Konwitschny, an diesem Wochenende beginnen in Bayreuth die Richard-Wagner-Festspiele. Für die nächsten Jahre sind skandalträchtige Regisseure wie Christoph Marthaler oder Christoph Schlingensief engagiert. Wurmt es Sie, dass nur Sie in Bayreuth nicht inszenieren dürfen?

Peter Konwitschny: Ich sehe darin eher einen Nachteil für Deutschland, nicht so sehr für mich. Schließlich kann ich die „Meistersinger“ auch in Hamburg machen oder die „Götterdämmerung“ in Stuttgart.

An Selbstbewusstsein fehlt es Ihnen also nicht?

Na ja, das mit Deutschland habe ich jetzt eher im Scherz gesagt. Aber für die Rezeptionsgeschichte von Wagner fände ich es wichtig, dass Bayreuth wieder eine Werkstatt wird, wo das Musiktheater die erste Geige spielt und nicht das Event ohne Substanz.

Sie wurden von der Kritik mehrfach zum „Regisseur des Jahres“ gewählt. Warum hält man Sie ausgerechnet vom Grünen Hügel fern?

Da kann ich nur spekulieren. Ich habe aus zweiter Hand gehört, dass Festspielchef Wolfgang Wagner mal über mich gesagt haben soll: Das ist ein Kommunist!

Sind Sie denn einer?

Die kapitalistischen Verhältnisse hat niemand so gut beschrieben wie Karl Marx. Aber die Idee ist viel älter. Letztlich ist es doch der Traum vom Paradies, wo alle gleich sind und in Harmonie miteinander leben. Und vor allen Dingen ohne die Diktatur des Kapitals. Ich verstehe nicht, warum das nicht zu Richard Wagner passen sollte.

In Bayreuth waren Sie nie?

Zum letzten Mal mit 16 Jahren, auf einer Motorradtour durch Deutschland. Winifred Wagner öffnete die Tür und sagte: Peter, komm doch rein, ich mache dir erst mal einen Tee. Dann fragte sie mich, ob ich am Abend ins Festspielhaus wollte. Aber ich bin lieber ins Kino gegangen.

In welchen Film?

So’n Wildwestfilm. Daran kann es doch nicht liegen, dass Wolfgang Wagner nicht bei mir anruft!

Sie sind die Skandalnudel der deutschen Opernnation. Wie fühlt man sich in dieser Rolle?

Die Leute tun ja gerade so, als ob es mir nur auf den Jux ankommt. Das stimmt nicht. Ich betreibe mein Geschäft mit großem Ernst.

Aber wenn Sie die Musik unterbrechen wie in Ihren Hamburger „Meistersingern“ oder Ihrem Berliner „Don Giovanni“, dann wissen Sie doch, wie das Publikum reagiert?

Ein Teil des Publikums. Na klar. Ich bin doch nicht naiv. Aber soll ich es deshalb bleiben lassen? Es gibt ja auch sehr viele Leute, die das einfach geil finden.

Antje Vollmer, die sich für die Theater engangiert, findet das gar nicht geil. Sie sagt: Mit ihrem Hang zu ständiger Provokation tragen die Künstler selbst zum Niedergang bei.

Das ist ja indiskutabel! Wer ist überhaupt Antje Vollmer?

Die grüne Vizepräsidentin des Bundestages.

Ach du Scheiße!

Was haben Sie denn dagegen einzuwenden?

Das sind Gedanken eines Sterbenden.

Warum geben Sie denn nicht zu, dass Sie den Skandal genießen?

Von wegen. Ich genieße das überhaupt nicht. Ich bekomme Angst.

Warum Angst?

Mit den Buhrufen im Saal ist es ja nicht getan. Das geht bis zu Morddrohungen.

Da übertreiben Sie ein bisschen, oder?

Was würden Sie sagen, wenn nach der Dresdener „Csárdásfürstin“ jemand schreibt: Der Mann wird zum Abschuss freigegeben? Das kann man symbolisch interpretieren, man kann es aber auch wörtlich nehmen. Mein Regisseurkollege Hans Neuenfels hat mal einen Brief bekommen, dass sein Sohn gekidnappt wird, wenn er mit seinen Inszenierungen so weitermacht. Auch Albrecht Puhlmann, der neue Intendant in Hannover, bekommt Morddrohungen.

Wie reagieren Sie darauf?

Gar nicht. Ich komme an die Absender ja nicht heran. Man kann nur hoffen, dass das kranke Leute sind, die gar nicht mehr aus dem Haus gehen – außer in die Oper. Die sich ihren Fantasien hingeben wie andere Leute im Sex-Chat. Und es dann gar nicht tun.

Bei anderen Kunstformen wie dem Schauspiel ist die Provokation längst Alltag. Warum reagiert das Publikum gerade in der Oper so gereizt?

Das Schauspiel ist von unten entstanden – mit dem Clown, der sich neben der Kirche auf eine Kiste stellt, um die Pfaffen zu verarschen. Die Oper entstand von oben. In Deutschland haben wir nur deshalb so viele Opernhäuser, weil die Provinzfürsten damit zeigen wollten, dass sie Geld haben. Die Oper eignet sich einfach besser, um zu repräsentieren. Weil nicht nur gesprochen wird, ist der Geist nicht so gefordert. Bei Musik kann man auch viel besser schlafen.

Wenn die Oper solch ein verschnarchtes Genre ist, warum geben Sie sich damit ab?

Wenn Oper nichts ist als Trällerei, dann haben Sie Recht. Dann ist sie asozial und überflüssig. Aber wenn wir die Botschaften der Stücke ernst nehmen, kann die Oper uns alle retten.

Glauben Sie das im Ernst?

Richard Wagner hat gemeint, dass die Kunst die Rolle der Religion übernehmen muss. Das finde ich großartig.

Und der Regisseur ist dann der liebe Gott?

Ja, ohne Humor ist darüber nicht zu sprechen. Mit Wagner, mit der Revolution von 1848 beginnt der letzte Abschnitt unserer Zivilisation – wo sich das Sterben entweder lange hinzieht oder wo es mal richtig knallt.

Haben Sie sich zu lange mit der „Götterdämmerung“ beschäftigt?

Stellen Sie mich um Himmels willen nicht wieder als Miesmacher hin, als so’ne kaputte Type. Ich sage ja nicht: Wir haben noch drei Jahre, da machen wir lieber unser Testament.

Solange es noch geht, hauen Sie auf die Pauke?

So nicht. Es sind einfach Dinge, die nebeneinander existieren. Es mag schizophren klingen, aber je deutlicher ich den Untergang vor Augen habe, desto lustvoller nehme ich am Leben teil. Am Anfang hatte ich ja ziemliche Widerstände. Nicht nur bei Presse und Publikum, sondern auch bei den Sängern. Das hat sich sehr gewendet.

Der Gedanke an den Untergang stört Sie dabei nicht?

Wieso denn? Alles geht irgendwann zu Ende. Wie Ägypten und andere große Systeme soll auch unsere Kultur untergehen. Es ist so viel Unrecht geschehen. Letztlich basiert unsere Lebensqualität auf der jahrhundertelangen Ausbeutung anderer Kontinente. Wenn das nicht mehr reparabel ist, dann muss dieses System halt verschwinden.

Wer sagt Ihnen, dass es danach besser wird?

Niemand. Aber wer sagt, dass es schlechter wird?

Sie haben mal geäußert: „Wir müssen einfach Leben liquidieren, um einen kleinen Schritt zivilisierter zu werden.“

Habe ich das wirklich gesagt? Es gibt ein Stück von Heiner Müller, da geht es um die Frage, dass in der Revolution getötet werden muss. Darauf habe ich wohl angespielt. Offenbar ist das der Preis dafür, dass man ein Stück weiterkommt mit dieser Zivilisation. Das sagt auch Walter Benjamin.

Können wir Sie also als Kronzeugen für die amerikanische Außenpolitik ansehen: Wir müssen Krieg führen, um den Nahen Osten zu zivilisieren?

Da muss ich Sie enttäuschen. Ich finde zwar nicht, dass George W. Bush ein besonders böser Präsident ist. Diese Figur ist auf ihrem Platz, weil Amerika seine Probleme auf andere Weise nicht mehr lösen kann. Aber den Irakern zu sagen: Ihr müsst jetzt demokratisch werden, deshalb machen wir erst mal einen kleinen Krieg – das finde ich ziemlich krank.

Krank?

Das ist die Diktatur des Guten. Das kennen wir ein bisschen aus der DDR. Oder aus Mozarts „Zauberflöte“. Die Sarastro-Welt hat große Ähnlichkeit mit den USA. Sie selber legen fest, was gut ist – und drücken es den anderen auf.

Wenn Sie sagen, Bush kann nicht anders – welchen Spielraum gibt es dann überhaupt noch für die Politik?

Gar keinen. Es geht nur noch ums Geld. Man müsste mal ganz grundsätzlich darüber sprechen, was wir eigentlich wollen. Was uns überhaupt noch heilig ist.

Wenn Sie der Politik so wenig zutrauen: Gehen Sie dann überhaupt noch wählen?

Ja. Auch wenn das eher ein romantischer Überhang ist.

Bleibt von der Politik nur noch die Inszenierung?

Das sind doch gar keine Inszenierungen. Das ist Austricksen einer Bevölkerung.

Sie sehen überhaupt kein dramatisches Element, nicht einmal bei Möllemann?

Nur, weil er abgestürzt ist?

Wäre das Stoff für eine Oper?

Nein. Opern vermitteln eine wirkliche Substanz. Etwas Ernsthaftes und Tiefgehendes. Nehmen wir Verdis „Traviata“. Da geht es um eine Nutte. Sie ist der einzige wirkliche Mensch in dieser Gesellschaft. Ihr Exliebhaber kommt ins Spielcasino, er wirft ihr das Geld vor die Füße, sie stürzt nieder. Keiner hilft ihr. Verdi ergreift Partei für die Nutte. Das ist großartig. Weil er uns damit vor Augen führt, wie desorientiert wir uns in unseren täglichen Begegnungen verhalten. Eine Oper über Möllemann wäre dagegen eine infame Verkleinerung des Genres. Ein RTL-Verschnitt von Ikarus.