Deutsche Jugendliche krimineller

Ausländische Jugendliche führen die Kriminalstatistik an, weil sie mehr beobachtet und angezeigt werden, sagt der Bremer Kriminologe Schumann. Ansonsten sind sie braver als Deutsche. Nur bei Gewalttaten liegen junge Zugereiste unbestritten vorn

taz ■ Wer die jüngste Studie des Bremer Professors Karl F. Schumann über jugendliche Straftäter liest, kommt zu dem Schluss: Deutsche Jugendliche sind krimineller als Kinder zugereister Eltern. Ob bei Diebstahl, Abzocken, Raub, Fahren ohne Führerschein oder Fahrkarte – der Untersuchung zufolge liegen die deutschen Jugendlichen immer deutlich vorne. Die Ausnahme sind Gewalttaten: Diese begehen junge Männer mit fremdem Pass häufiger als gleichaltrige Deutsche.

All das belegt eine jetzt veröffentlichte, in Bremen durchgeführte Längsschnittstudie des Sonderforschungsbereichs „Statuspassagen und Risikolagen im Lebensverlauf“*. Dafür haben die Bremer ForscherInnen der Universität 426 Haupt- und SonderschülerInnen – fast einen gesamten SchülerInnen-Jahrgang – seit 1989 zehn Jahre lang regelmäßig befragt. Heraus kamen Ergebnisse, die der besonders von konservativen Politikern gern zitierten Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) deutlich widersprechen.

In der Bremer Langzeitstudie nämlich bezichtigten sich 50 Prozent der befragten Deutschen, Straftaten begangen zu haben – vom Taschengeldklau aus Mutters Börse bis zur echten Gewalttat. Unter den ausländischen Jugendlichen sind es dagegen nur 40 Prozent. Besonders aktiv sind in beiden Gruppen junge Männer zwischen 19 und 22 Jahren. Besonders oft begehen sie Eigentumsdelikte. Doch auch nach dem 25. Lebensjahr gehörte der Studie zufolge Kriminalität zum Leben der Befragten: Jeder zweite Mann räumte eine Tat ein. Die Zahl der Gewaltdelikte nahm dabei mit fortschreitendem Alter ab, wie auch insgesamt die Häufigkeit von Straftaten. Nur bei Drogendelikten wurde deutlich, dass Laufbahnen erst ab dem 20. Lebensjahr beginnen, hier begehen einzelne Personen dann meist viele Taten. Doch auch bei Drogen- und Eigentumsdelikten gilt: Deutsche Jugendliche begehen sie häufiger.

Dabei gelten ausländische Jugendliche der Polizeistatistik zufolge als Tätergruppe Nummer eins. Den Bundeszahlen zufolge liegen sie mehrere Prozentpunkte vor den deutschen Tatverdächtigen. „Nichtdeutsche Jugendliche haben ein höheres Risiko, kriminalisiert zu werden“, sagt dazu sagt der Leiter der Bremer Studie, der Kriminologe Prof. Karl F. Schumann. Sie würden schärfer beobachtet und eher angezeigt. Das bilde die Kriminalstatistik ab – nicht aber, wenn die Strafverfolgungsbehörden dies später korrigierten, was oft geschehe.

Für die Bremer Kriminologen dagegen war nicht die polizeiliche Statistik maßgeblich – obwohl ihnen die offiziellen Kriminaldaten ihrer Zielgruppe anonymisiert vorlagen. Die Forscher setzten vielmehr auf die Selbstauskunft der 426 Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Diese wurden zwischen ihrem 16. und 27. Lebensjahr regelmäßig nach Gesetzesverstößen anonym befragt. Daraus ergaben sich Daten, die meist gar nicht in der Kriminalstatistik auftauchen – weil sie oft nicht gemeldet werden. In der wissenschaftlichen Forschung gelten solche Selbstauskünfte als verlässlich.

„In Deutschland dürfte unsere Arbeit ziemlich einzigartig sein“, sagt Schumann. Sie lasse hier erstmalig Aussagen über das Kriminalitätsverhalten von Jugendlichen mit geringem Bildungsstand zu – Schulflüchter und in Haft einsitzende Straftäter ausgenommen. Und sie vergleiche das Straftatenniveau der deutschen und der nichtdeutschen jugendlichen Wohnbevölkerung. Auch das ist selten, unterscheidet doch die Statistik der Polizei nicht zwischen Verdächtigen, die in Deutschland leben und denen, die zum Autoklau einreisten.

Doch Schumann haut jetzt nicht auf die große Pauke. Das Fazit des Wissenschaftlers, Mitautor des Sicherheitsberichts der Bundesregierung 2001, klingt fast vorsichtig. In Bezug auf die Tatsache, dass nichtdeutsche Jugendliche offenbar weniger Taten begehen, aber bisweilen doppelt so oft registriert werden als deutsche, sagt er ganz nüchtern: „Diese Überkriminalisierung bedarf künftiger Forschung.“

Eva Rhode

* Delinquenz im Lebensverlauf. Bremer Längsschnittstudie 2. von Karl F. Schumann (Hrsg.), Juventa-Verlag, 39 Euro