„Bewusst so drastisch gelassen“

„Never trust the author, trust the tale“: Eike Schönfeld hat J. D. Salingers Roman „Der Fänger im Roggen“ neu ins Deutsche übertragen. Ein Gespräch über das Geschäft des Übersetzens, über fehlende Sätze und die Tücken der Umgangssprache

„Ich habe mich bemüht, eine eigene, eher zeitlose Sprache zu finden“

Interview ANDREAS MERKEL

Mit großen Erwartungen geht man in das Gespräch mit Eike Schönfeld, der den „Fänger im Roggen“ neu übersetzt hat. Man hat sich den Mann irgendwie als Jerome David Salingers Vertreter auf Erden in Deutschland vorgestellt: herrisch, mysteriös und genial durchgeknallt. Salinger, Jahrgang 1919 und – wie es in unzähligen Artikeln über ihn immer so schön heißt – „sehr zurückgezogen auf seiner Farm in New Hampshire lebend“ und „den Literaturbetrieb verabscheuend“, ist seit über vierzig Jahren nicht mehr öffentlich in Erscheinung getreten – es sei denn juristisch. Seine Anwälte machen mit jedweder auch nur im Ansatz autobiografischen Publikation kurzen Prozess.

Statt des enigmatischen Autors erscheint aber nun ein Mann in Jeans und Turnschuhen, freundlich und zurückhaltend, mit sanftem Händedruck und noch sanfterer Stimme: Eike Schönfeld, hauptberuflich Übersetzer. Geboren 1949 in Rheinsberg bei Berlin, dann Übersiedlung nach Süddeutschland, Studium der Germanistik und Anglistik in Freiburg, Promotion über den „Deformierten Dandy – Oscar Wilde im Zerrspiegel der Parodie“. Übersetzungen so namhafter Autoren wie Martin Amis, Nicholson Baker und Jerome Charyn. Den „Fänger im Roggen“ habe er nie gelesen, gibt Eike Schönfeld gleich am Gesprächsbeginn zu. In der Schule hätte es sich nicht ergeben, und später habe er dann mal von sich aus einen Blick in Heinrich Bölls Übersetzung geworfen, diese jedoch enttäuscht nach 50 Seiten weggelegt: „zu viele Anglizismen“.

taz: Herr Schönfeld, wie kam man gerade auf Sie, als es an die Neuübersetzung des „Fängers im Roggen“ ging?

Eike Schönfeld: Das Ganze war schon lange geplant. Aber es gab eine Menge rechtliche Schwierigkeiten. Dabei stand für Bärbel Flad, die Lektorin bei Kiepenheuer & Witsch, von Beginn an fest, dass ich diese Neuübersetzung machen soll. Vermutlich fand sie, dass Sprache und Stil zu mir passen.

Sie haben gleich zugesagt, ohne das Buch überhaupt jemals ganz gelesen zu haben?

Natürlich habe ich zugesagt. Ich war sofort begeistert! Inhalt und Bedeutung des Buchs waren mir ja trotzdem bekannt. Im Übrigen lese ich mir die Bücher, die ich übersetzen werde, nie vorher durch. Ich fange immer direkt mit der Übersetzung an. Ich gehe dabei so vor, dass ich jeden Roman in drei Schritten übersetze. Die erste Version ist noch eher wörtlich, eins zu eins. Die wird dann gründlich, auf Papier, überarbeitet, und beim dritten Durchgang kommt der Feinschliff. So kriege ich mit jedem Schritt mehr Abstand vom Original und sehe, ob der Text am Ende auch im Deutschen für sich stehen kann. Beim „Fänger“ hat das rund ein Vierteljahr gedauert.

Gab es einen Kontakt zu Salinger? Konnten Sie ihm beispielsweise eine Liste mit Übersetzungsvorschlägen oder gezielten Vokabelfragen schicken?

Nein! Da war gar nicht dran zu denken, er lebt ja völlig zurückgezogen. Das ist aber auch nicht nötig. Ich wende mich auch sonst nur in Sachfragen an den Autor. Deswegen hat mich der biografische Hintergrund bei Salinger auch gar nicht so sehr interessiert. Ich arbeite nach dem Grundsatz: Never trust the author, trust the tale!

Okay, kommen wir zur „tale“! Holden Caulfield, der jugendliche Icherzähler des „Fängers im Roggen“, ist von der Schule geflogen und schlägt sich in New York die Nacht um die Ohren. In einer Bar bittet er den Kellner verzweifelt, ihm – einem „verfluchten Minderjährigen“ – etwas Alkoholisches zu bringen: „In einem dermaßen piefigen Raum (im Original steht „corny place“, von Böll wurde es mit „Bumsbude“ übersetzt) kann ich nicht stocknüchtern sitzen!“ Wie kamen Sie darauf, das ja dauernd vorkommende Verdikt „corny“ ausgerechnet mit „piefig“ zu übersetzen?

Das war schwierig. In dem Roman wird ja die ganze Zeit in einer teilweise recht derben, aber gleichzeitig sehr stilisierten Umgangssprache geflucht. Und es gibt im Deutschen einfach keine umgangssprachlichen Entsprechungen für das, was Holden beispielsweise mit „phony“ – verlogen – meint. Ich habe mich bemüht, eine eigene, eher zeitlose Sprache zu finden, aber eben keine aktuelle Jugendsprache zu verwenden. Im Freundeskreis meines 15-jährigen Sohns findet man besonders blöde Sachen, zum Beispiel „pansig“, was wahrscheinlich von „Pansen“ oder so kommt. Solche Begriffe verwende ich nicht. An anderen Stellen bin ich ganz schematisch vorgegangen: Jedes „goddam“ habe ich mit „verflucht“ und jedes „damned“ dafür mit „verdammt“ übersetzt. Und die derben Sachen habe ich ganz bewusst so drastisch gelassen, „you give me a royal pain in the ass“ muss dann eben heißen: „du gehst mir gewaltig auf den Sack“. Was man bei dem ganzen Gefluche dennoch nicht vergessen sollte, ist, wie gesagt, dass sich Salinger hier einer vollkommen durchkomponierten Sprache bedient. Ich halte den „Fänger im Roggen“ ja auch nicht für ein Jugendbuch. Das ist ja nicht „crazy“.

„Ich lese die Bücher, die ich übersetzen werde, vorher nie durch“

An einer Stelle besucht Holden Caulfield ein Jazzkonzert und regt sich über das verlogene Publikum auf, das dem eitlen Pianisten vollkommen übertrieben zujubelt. Dann sagt er den einen entscheidenden Salinger-Satz – wenn man einmal an den weiteren Lebensweg dieses Autors denkt, der ja angeblich seit vierzig Jahren jeden Tag sechzehn Seiten schreiben soll, aber nichts mehr veröffentlicht hat: „If I were a piano player, I’d play it in the goddam closet.“ Böll hat das mit – na ja – „Wenn ich Pianist wäre, würde ich im Klosett spielen“ übersetzt. Bei Ihnen fehlt dieser Satz. Eine bewusste Entscheidung?

(verwundert) Nein … (schlägt in beiden Ausgaben nach, vergleicht, prüft mehrmals) Das gibt’s doch gar nicht! … Das kann nicht sein. Das ist mir durchgerutscht. Und keiner hat’s gemerkt! Dabei wurde extra noch ein zweiter Fahnensatz angefertigt und gelesen. Und dass das dann dennoch übersehen wurde, das ist richtig schlimm! Immer ist was!

Und wie geht es jetzt weiter? Wird es in Zukunft zwei friedlich koexistierende „Fänger im Roggen“-Übersetzungen im Buchhandel geben?

Nein, soweit ich informiert bin, gibt es die von Böll nur noch ein Jahr, bis meine auch als Taschenbuch im Rowohlt Verlag erscheinen wird. Aber erst mal muss ich gleich in Köln anrufen. (Macht sich Notizen) Auf welcher Seite fehlte noch mal der Satz?

Jerome D. Salinger: „Der Fänger im Roggen“. Aus dem Amerikanischen von Eike Schönfeld. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2003, 272 Seiten, 15 €