Virtuelle Andacht

Gottesdienst 3.0 Die digitale Revolution geht auch an der Kirche nicht vorbei. Noch aber sind Twitter-Gottesdienste Randerscheinungen im evangelischen Gemeindeleben

VON IMRE BALZER

Eine eigene App, der eigene Hashtag #dekt15, eine eigene Homepage (www.kirchentag.de): Was neue Medien angeht, scheint der Kirchentag im 21. Jahrhundert angekommen zu sein. Ungeklärt ist, wie das Internet im Gottesdienst ankommt – und ob das überhaupt erwünscht ist. Kann es sich die Kirche leisten, die digitale Revolution in der Liturgie zu ignorieren?

Auf dem Kirchentag nahm sich die Podiumsdiskussion „Gottesdienst 3.0“ dem virtuellen Gottesdienst an und begann, – dazu passend – mit einer im Netz übertragenen Twitter-Andacht. Auch dafür gibt es einen Hashtag: #gott3punkt0. Thomas Dörken-Kucharz und Ulrike Greim moderierten, beide Rundfunkbeauftragte – er für die ARD, sie für die Evangelische Kirche in Mitteldeutschland.

Gottesdienste oder Andachten, die das Internet mit einbeziehen, sind dabei längst etabliert. In Wien werden in der Markuskirche regelmäßig Online-Andachten mit Twitterbeteiligung abgehalten. Unter online-andacht.at kann mitgebetet werden. In der virtuellen Parallelwelt „Second Life“ gibt es Kirchen, die mit dem Avatar besucht werden können. Es gibt Chatgottesdienste oder Gottesdienste, die aus einem Webfernsehstudio gesendet werden und in die man sich live zuschalten kann.

Internet und Kirche sind also bereits Realität. Nur: Wem nutzt das? Auf eine Zielgruppe will sich kaum einer der Diskussionsteilnehmer während der Podiumsdiskussion festlegen: Jede und jeder mit Internet und Smartphone könne doch mitmachen. Die Online-Andachten seien entstanden, weil man mit ihnen ältere Menschen in ihren Wohnungen erreichen könne, Chatgottesdienste würden dagegen eher jüngere Menschen ansprechen. Aber ob damit neue Gläubige zu gewinnen seien? Man weiß es nicht.

Wie sich Gott im Netz verbreiten wird, darüber ist man sich auch auf dem Kirchentag nicht einig. Auf dem Podium warnt Okko Herlyn, Theologe aus Duisburg, vor einer Virtualität, die Gemeinschaft vorgaukele, oft aber Einsamkeit schaffe. Die Predigt im Netz vergleicht er mit einem Lagerfeuer im Fernsehen. „Echtes Lagerfeuer ist dem virtuellen immer überlegen.“ Moderator Dörken-Kucharz hingegen wünscht sich mehr digitales Engagement. „Wo sind eigentlich die Veranstaltungen zu neuen Medien auf dem Kirchentag? Und warum wurde Edward Snowden nicht eingeladen?“