Psycho-Wracks mit Witz

ungeschönt Nach seinem letzten Werk „Psychocalypse“ hat der Hamburger Schriftsteller Carsten Klook nun mit „Berg & Jarka“ einen sogenannten Liebeswahnroman veröffentlicht. Über 250 Seiten kämpfen die ineinander vernarrten Protagonisten darin mit sich und ihren Dämonen

Verarbeitet in seinen Romanen eigene Erlebnisse und schmückt sie dann aus: der Hamburger Schriftsteller Carsten Klook Foto: Jakob Boerner

von Michele Avantario

Im Hamburg der späten 1990er-Jahre gab es mal einen Kulturklub namens Matrix. Er befand sich am südlichen Zipfel Eimsbüttels oder, wie Mitbetreiber Carsten Klook sagen würde, in den „Outbacks der Schanze“. Wo vorher mit Blumen gehandelt worden war, wurde eine Kleinkunstbühne für Lesungen, Konzerte, Performances und DJ-Abende eingerichtet. Warum der viel versprechende Klub nicht lange überlebte, lässt sich erahnen, wenn man den Anfang von Klooks neuem Roman, „Berg & Jarka“, liest: Ein dort beschriebener Abend versinkt in Exzess und Chaos. Dabei treffen die Protagonisten aufeinander, deren Amour fou fortan ihren unheilvollen Lauf nimmt. Der echte Klub verschwand so plötzlich wie er aufgetaucht war – und findet sich fast 20 Jahre später in einem „Liebeswahn­roman“ verewigt.

„Berg & Jarka“ handelt von einem Mann und einer Frau, die aufgrund von massivem Psycho-Schlamassel eigentlich nicht miteinander können. Ohne einander aber auch nicht – das jedenfalls glauben sie eine ganze Zeit lang. Über 250 Seiten kämpfen Berg und Jarka mit sich und ihren Dämonen sowie mit denen des jeweils anderen. Und obwohl Klook das Drama flott und zügig herunter erzählt, setzt irgendwann ein quälendes Element ein. Denn Berg und Jarka sind „ein Paar, das sich aneinander verausgabt und dabei nichts dazu lernt“, sagt der Autor.

Carsten Klook ist seit 40 Jahren als Textarbeiter tätig. Er wuchs in Billstedt auf und hat ein paar Semester Germanistik studiert. Als Redakteur und Journalist schrieb er in den 1980er- und 1990er-Jahren Kritiken und Berichte für verschiedene Zeitungen und Magazine, als Schriftsteller verfasste er Kurzprosa und Lyrik für Kleinverlage, erhielt ein paar Stipendien und Preise. Nebenher machte er Musik und jobbte als DJ. Sein 2005 beim Textem-Verlag erschienenes Romandebüt „Korrektor“ brauchte viele Jahre, um verlegt zu werden. Doch seit Klook seine Bücher und Hörspiele in Eigenregie heraus bringt, verdichtet sich die Veröffentlichungsfrequenz.

In seinen ersten Romanen pflegte er, die Aufmerksamkeit seiner Leserschaft gleich zu Beginn einer Geschichte auf den Prüfstand zu stellen. Da füllten Fetzen und Fragmente, Assoziationen und sprachliche Verdrehungen die ersten Seiten. Lange bevor eine Art Erzählstrang erkennbar wurde, musste erst einmal Silbe für Silbe eine sperrige Wortanordnung durchschritten werden, um in die richtige Stimmung für das dann Folgende zu kommen. Er habe das als Spiel zwischen sich und dem Publikum betrachtet: „Wie ein Initiationsritual oder eine Show, an deren Anfang ein reinigendes Gewitter stattfindet, nach dem dann alles passieren kann.“

Feel-Good-Stories gibt es jedenfalls woanders. Klooks Romane sind oft stark autobiografisch geprägt, wenn auch fiktiv ausgeschmückt. Sie enthalten impressionistische, expressionistische wie auch surrealistische Elemente und sind in der Regel kein leichter Stoff. Zu den immer wiederkehrenden Themen und Motiven gehören Psychosen, Missbrauch, Angst und Depression, Kindheits- und Jugendtraumata, die befremdliche Außenwelt und das vielleicht noch befremdlichere Innenleben von übertherapierten Typen namens Marc, Bernd oder Rudolph-Martin. Aber so traurig oder deprimierend es manchmal zugeht: Die Geschichten sind gespickt mit leisem Witz, lustigem Fatalismus, amüsanter Psychedelik. „Man muss über all das auch lachen können“, sagt Klook, „das wäre gut.“

Zum Schmunzeln regen auch die Popmusikbezüge an, die in den Texten des Hamburgers immer wieder auftauchen. Mal sind es konkrete Soundtrackempfehlungen, die dem Leser als musikalische Lesebegleitung nahegelegt werden – so zum Beispiel für Buch „Tattoovorschläge für Headbanger & Bedhanger“. Mal sind es Zitate, Songtitel oder Anspielungen, die in den Verlauf einer Romangeschichte eingebunden werden. Dabei geht es von Lennon, Dylan und Cohen über New-Wave- und Brit-Pop-Bands wie New Order und The Verve bis hin zu The Mars Volta, Lana Del Rey sowie mancher Lokalgröße, etwa den Goldenen Zitronen und 39 Clocks.

Eine Affinität zur Popwelt ist in Klooks Werk nicht zu übersehen. Direkte Verweise auf die Literatur sucht man hingegen vergebens. „Formal kann man in meinen Büchern viele Anleihen aus der Literaturgeschichte entdecken“, erklärt Klook. „Aber Songtitel und Songtexte zu zitieren, hat für mich einfach eine andere Atmosphäre, das gefällt mir. Hinweise beispielsweise auf August Stramm oder Gottfried Benn wirken schnell angeberisch. Das kommt beim Namedropping aus dem Popbereich lockerer daher. Diese Wiese erscheint mir nicht so abgegrast.“

Liegt es deswegen nicht nahe, ihn einen Pop-Literaten zu nennen? „Ich bezeichne mich von nun an als erweiterten Pop-Literaten“, antwortet er. „Oder eher als Post-Pop-Literaten… ?“ Denn eigentlich sei das Thema schon durch, und man könne es nun von hinten aufrollen.

„Berg und Jarka sind ein Paar, das sich aneinander verausgabt und dabei nichts dazu lernt.“

Autor Carsten Klook

Seine neueren Werke gestalten sich „zunehmend geradliniger“, heißt es auf Klooks Webseite. Das trifft auf „Berg & Jarka“ ebenso zu wie auf „Psychocalypse“. Letzteres ist ein 500 Seiten mächtiger schwarzer Klotz, der seinen düsteren Titel nicht ohne Grund trägt. Es ist ein Roman „nach einer wahren Begebenheit und den Aufzeichnungen des Patienten Marco Ferrtereit“, also die autofiktive und in allen Details beschriebene Leidensgeschichte eines von Depressionen, Angstzuständen und Panikattacken geplagten Mannes, dem schließlich Multiple Sklerose diagnostiziert wird. Vor allem geht es in „Psychocalypse“ um eine Klinik, in der sich Patient Ferrtereit alles andere als richtig behandelt, sondern eher nach Strich und Faden verarscht fühlt.

Auf Seite 130 beginnt Klooks Alter Ego Marco, bestimmte Dialoge und Vorfälle, die er während seiner gesundheitlichen Irrfahrt durchzustehen hat, in seinen College-Block einzutragen. Drei Jahre sowie etliche Behandlungen und Klinikaufenthalte danach kann Klook seine Arbeit an „Psychocalypse“ abschließen. „Ich habe schon beim Erleben des Stoffes beschlossen, dort alles hineinzupacken, was in jener Zeit innen und außen passiert ist“, erzählt Klook. Dabei habe er entschieden, schonungslos zu sein – mit sich und mit dem Publikum. „Wie bei ‚Berg & Jarka‘ gibt es auch bei ‚Psychocalypse‘ eine Art Marathondruck, der sich mit der Zeit aufbaut. Ein Abschleifen einer Erwartungshaltung, das eine gewisse Leidensfähigkeit verlangt. Wie geht das weiter mit dem Marco Ferrtereit, kriegt er noch die Kurve, kommt er da lebend raus?“ Dass es selbst in dieser niederschmetternden Geschichte manchmal noch komisch zugeht, ist bewundernswert.

Was den Marathondruck außerdem unterhaltsam macht, ist Klooks Vermögen, selbst banale Alltäglichkeiten so zu beschreiben, als passierten sie zum ersten Mal – sei es das Schmieren eines Butterbrots oder der x-te Einstich einer Injektionsnadel im Oberschenkel. Und auch s etwas: In „Berg & Jarka“ träumt einer der Protagonisten „von einem schwarzen Balken auf seinem Gesicht“. Seine „Tage gingen ins Wasser und kamen als Schildkröte wieder an Land, Kreisverkehr recycelt“.

Dann hüpfen die beiden Liebesverrückten ins Bett: „Man wurde zart, trank Wein, plänkelte, nahm einander auf und in den Arm, säuselte Lippenbekenntnisse, zurrte hier, fingerte da, lüpfte. Und guckte mal nach, wie ging’s den Eingeweiden? Sexualisierte einander mit Knorpelberührungen und anderen Touchdowns.“ Auch geil. Irgendwie.